Ins geheiligte Herz Perus: auf dem Inka Jungle Trail
Lima, die Hauptstadt Perus, ist eine Stadt, die in vielerlei Hinsicht sehr bemerkenswert ist. Obwohl am Meer gelegen, wird sie als „Wüstenstadt“ klimatisch auch mit Kario verglichen. So gibt es hier fast keinen Niederschlag, ganzjährig! Ich komme spät am Flughafen an und nehme ein teures offizielles Flughafen-Taxi. Gerade die Strecke zwischen Flughafen und der Innenstadt von Lima gilt einschlägig als gefährlich, selbst im Taxi. Die Limousine, mit der ich gefahren werde, ist äußerlich nicht als Taxi erkennbar. Es soll häufiger vorkommen, dass Taxen an der Ampel oder im Verkehr stehend von Kriminellen überfallen werden, wobei die Scheiben eingeworfen und das Gepäck herausgezerrt wird. In eine solche Situation möchte man sich tunlichst nicht begeben…dafür berappe ich für eine Fahrt von wenigen Kilometern stolze 35 US-Dollar, in diesem Land ein halbes Vermögen. Egal, ich komme sicher in meinem gebuchten AirBnB an und werde auch schon von Nataly erwartet, die mir die Wohnung zeigt und mir dann schließlich komplett überläßt! Die Wohnung ist im siebten Stockwerk und bietet ganz gute Aussichten auf die Stadt. Als ich am Morgen vor Sonnenaufgang aufwache, schleiche ich mich auf das unverschlossene Flachdach, auf dem tagsüber die Wäsche getrocknet wird, und passe den Sonnenaufgang ab.
Später mache ich mich zu Fuß auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Wir sind recht weit vom Zentrum entfernt, und so durchlaufe ich zunächst einige andere Viertel. In Miraflores geht es recht nobel zu, hier reiht sich eine Villa and die nächste. In San Isidro finde ich, wie vielfach in der Stadt vorhanden, einige hoch aufragende original antike Inkabauten, bzw. -tempel. In vielen Vierteln ist die Stadt sehr modern, so sprengt die Anzahl der internationalen Ketten (KFC, BurgerKing) alle Vorstellungen, die ich von Peru hatte. Es gibt viele neue Gebäude und Autos und ich habe fast den vorläufigen Eindruck, dass Lima im Vergleich südamerikanischer Hauptstädte recht modern ist. Vor allem die peruanische Küche genießt – noch als Geheimtipp – allerhöchsten Weltruf! Viele Einflüsse, auch aus China und Europa haben eine Feinschmecker-Küche bzw. -Szene entstehen lassen, auch für relativ „wenig“ Geld…
Was noch beeindruckt: WIFI-Internet ist an vielen öffentlichen Plätzen gratis. Auch benutze ich hier UBER-Taxen, als eines der sichersten und trotzdem bezahlbaren Verkehrsmittel, ganz problemlos. An einem Abend fahre ich 15 Kilometer durch die Stadt: für ganze 8 Euro. Taxis von der Strasse zu nehmen, ist nicht risikofrei, da manche Fahrer in Raubaktionen involviert sind. Daher ist es besser, sich ein Uber oder anderes Funktaxi von einer Zentrale zu bestellen, hier sicherlich noch mehr, als in Cartagena! Lima gilt als eine der gefährlichsten Städte Südamerikas, so soll die Mordrate zwischen 5-10 pro Tag/Nacht liegen! Ansonsten gibt es in Lima noch so ausgefallene Dinge, wie einen riesigen Golfplatz, inmitten der Stadt. Ich war etwas enttäuscht, leider gar nicht hinschauen zu können, als ich ihn zu Fuß umrunden mußte. Dafür liegt nicht weit entfernt ein wunderschön idyllischer Olivenbaumpark, der öffentlich zugänglich ist.
Abends gehe ich ins beliebte Stadtviertel Barranco, hier gibt es die romantisch angestrahlte „Puente des los Suspiros“, die „Brücke der Seufzer“, welche bei vielen verzückten Turteltäubchen auszulösen vermag. Ich überquere sie, gemeinsam mit vielen anderen Touristen.
Unter der Brücke hindurch führt ein Weg hinunter zum Meer. Ich folge ihm und finde eine Plattform, die schöne Aussichten über die Strandautobahn hinweg erlaubt.
Dann gehe ich eine Pizza essen, treffe zwei andere Deutsche, wir unterhalten uns über Machu Picchu, wohin ich noch will. Ebenfalls des Abends besuche ich die Altstadt Limas und den Plaza Mayor, der mit seinen kolonialen Bauten sehr zu beeindrucken vermag.
Später finde ich noch das vom Reiseführer empfohlene Chifa-Restaurant Wa Lok in Chinatown und esse zu abend.
Am Nachmittag des 25. März steige ich in den Nachtbus (TEPSA) nach Cusco. Von Cusco will ich dann eine geführte 4-Tage-Tour nach Machu Picchu machen, mit einem unter anderem von Lonely Planet empfohlenen Anbieter für Spezialtouren: Lorenzo Expeditions. Bei diesem alternativen Inka-Pfad fährt man den ersten Tag mit einem Mountainbike von einem 4,5 Kilometer hohen Berg 3 Stunden lang bergab! Die Reisedauer nach Cusco beträgt 22 Stunden, bei Verkehrsproblemen, die in den Anden jederzeit von jetzt auf gleich aufgrund von Überschwemmungen oder Steinlawinen die Strassen unpassierbar machen können, dauert es natürlich länger. Ich steige um fünf Uhr nachmittags ein und erhalte auch ein kleines Abendessen. Die Sitze sind erstklassig, lassen sich auf 160 Grad nach hinten schwenken und dank einer Beinablage kann man auch einigermaßen schlafen. Störend sind nur die drei actiongeladenen Filme, die noch am Abend bei extremer Lautstärke gezeigt werden. Ich schaue einen, dann behelfe ich mir mir Ohrenstöpseln, über die ich noch meine Kopfhörer drüber ziehe und somit geräuschgedämpft Musik hören kann. Endlich, gegen 23.30 Uhr endet der letzte Film und die Nachtruhe beginnt. Wir sind ab Lima einige Stunden auf der „Panamericana“ gefahren, das ist die berühmte Trasse, auf der man quasi von Alaska aus bis nach Feuerland Nord- und Südamerika an der Westküste entlang abfahren kann, was jedes Jahr nicht wenige machen. Eine Kultstrecke, die beim Verlassen von Lima auch an den Armenvierteln Limas vorbeiführt.
Irgendwann in der Nacht sind wir dann vor der Panamericana abgebogen, Richtung Anden. Dann wird es bald kurvig und das wird bis Cusco auch so bleiben. Nichts für Leute, die leicht reisekrank werden. Als ich am Morgen gegen halb sechs erwache, ist es im Bus zwar warm genug, aber ich kann erkennen, dass es draussen kalt zu sein scheint. Ich schalte die Navigations-App meines Handys ein und prüfe die Höhe: wir sind bereits auf 4.500 Meter über dem Meeresspiegel!
Ich wüßte nicht, wann ich in meinem Leben schonmal auf dieser Höhe Auto oder Bus gefahren bin. Anzeichen von Höhenkrankheit verspüre ich aber soweit nicht. Ich sehe schneebedeckte Berggipfel und kleine peruanische Dörfer, es laufen auch Lamas herum. Die Sonne geht auf und ich genieße spektakuläre Aussichten von den Pässen, die uns hoch und runter durch die Berge führen. Hier und da kann ich Anzeichen von kürzlichen Steinabgängen auf der Strasse sehen, es liegen große Felsen herum, die wir zum Teil umfahren. Am anderen Flussufer ist ein Bagger zugange, der Felsen von der Strasse beseitigt – Alltag in den Anden.
Wir halten in einem Tal, um eine Frühstückspause einzulegen. Die Einheimischen essen um diese Uhrzeit bereits sehr herzhafte Speisen wie Fleisch, Fisch, Suppen. Ich trinke nur Cafe con Leche. Die Sonne wird bereits intensiver. Wir fahren weiter, es heißt, wir müssen einen kleinen Umweg machen, da eine Brücke nicht passierbar sei. Dann werden wieder Videos eingelegt. Ich nehme wieder meine Kopfhörer..trotz des Umweges kommen wir dann aber pünktlich am Mittag in Cusco an, auf rund 3.500 Meter. Ein Taxi bringt mich in die Unterkunft. Solangsam setzt bei mir ein leichtes Kopfweh ein. Der freundliche Pensionsbesitzer bietet mir Tee an, mit Mate- und Cocablättern zubereitet. Das soll helfen. Ich trinke reichlich und meine, Linderung zu verspüren. Die heftige Höhenkrankheit, die ich Anfang Dezember auf gleicher Höhe in den Rocky Mountains hatte, kehrt nicht wieder. Ich mache aber auch keinen „Hochleistungssport“, wie damals, als wir sechs Stunden einen Paß hinauf Langlaufski gelaufen sind. Ich lasse es diesmal ganz ruhig angehen. Nachdem ich mich kurz akklimatisiert habe, gehe ich zu „Lorenzo Expeditions“, bei denen ich bereits für den kommenden Morgen eine viertägige „Inca-Jungle-Trail-Tour“ gebucht habe. Die muss ich vorab bezahlen und erhalte erste Instruktionen für die Tour. Dann geht die Senorita noch mit mir zum Büro von „Perurail“, damit ich direkt meine Zugrückfahrkarte kaufen kann. Kostenpunkt: 79 US-Dollar, für eine Strecke von rund 50 Kilometern! Seis drum, gehört eben zum Gesamterlebnis von Machu Picchu, wo die geführte Tour endet. Die Tour selbst macht 256 US-Dollar, was ich in Ordnung finde, da neun Mahlzeiten und drei Übernachtungen inklusive sind, sowie der Eintritt für Machu Picchu, welcher allein schon über 50 USD kostet. Ich gehe früh schlafen, stehe früh, gegen 5 Uhr auf und packe für die Tour. Es soll nur ein kleiner Tagesrucksack mitgebracht werden. Mein übriges Gepäck lasse ich im Hotel, wo es die vier Tage für mich aufbewahrt wird. Um sechs Uhr trete ich auf die Gasse, in der mein Hotel liegt und dort steht bereits ein Mann, der Joachim heißt, der Sohn von Lorenzo. Es gibt keine Zeit für Smalltalk, sofort werde ich in einen Kleinbus bugsiert, mit dem wir weitere Aspiranten abholen. Dann werden wir zu einer der Lodges von Lorenzo gefahren, wo es erstmal Frühstück gibt. Unsere Gruppe besteht nur aus 5 Personen, es ist Nebensaison. Nach dem Frühstück bringen uns die Guides mit dem Bulli auf einen Berg, Alta Mancha, in 4.500 Meter Höhe, von wo aus wir auf Mountainbikes und mit Protektoren, Helmen und Handschuhen bestückt den Berg hinabfahren.
Drei Stunden lang bauen wir drei Höhenkilometer ab, die Strasse ist gut asphaltiert, kurvenreich und führt hier und da durch gar nicht mal kleine Bäche, die über die Strasse laufen. Leider ist es an diesem Morgen sehr neblig und wir haben nicht viel von der Aussicht, die rasante Fahrt bergab macht dennoch Spaß. Mit jedem Meter, den wir tiefer kommen, wird es zugleich wärmer, und solangsam haben wir zuviel warme Kleidung an. Wir halten und entledigen uns der warmen Jacken und Fleece. Meine Thermounterwäsche, die ich vorsorglich angezogen hatte, kann ich natürlich nicht ausziehen. Nach drei Stunden kommen wir, durchgeschwitzt und auch naß von den Bachdurchquerungen, zufrieden in der Lorenzo Lodge in Santa Maria an, wo wir unsere Zimmer beziehen und dann Mittagessen gehen. Den Rest des Tages verbringen die anderen mit Rafting, mein niederländischer Zimmergenosse Jelle und ich erkunden die Umgebung.
Am Abend spielen wir Billard und trinken Pisco Sour, der peruanische „Nationalcocktail“. Morgens gibt’s Frühstück auf dem offenen Patio mit Blick in die Schlucht, durch die der Fluss läuft, dessen Rauschen uns nachts in den Schlaf „gesungen“ hat. Für eine kurze Strecke fahren wir gemeinsam im Kleinbus, dann heißt es schon Abschied nehmen von Dreien unserer Gruppe, die nur die dreitägige Tour gebucht haben. Jelle und ich steigen gemeinsam mit unserem Guide Bruno aus und machen uns auf in den peruanischen Dschungel. Dabei kommen wir durch kleinere Anbaugebiete für Kaffee, Kakao, Bananen und natrülich Coca. Wir halten öfter, schauen, riechen, probieren hier und da und schauen uns den Prozess der Kaffeeherstellung an. In kleinen Mengen wird er sogar vor Ort geröstet und wir kaufen ein paar kleine Dosen. Bruno erklärt viel und gibt uns bei allem immer mehr Einblick in die heutige Kultur Perus, aber auch die vormalige Kultur der Inkas.
Die Berge waren den Inkas heilig und darum führen auch die Inkapfade immer weit oben durch die Berge. Auch wir besteigen einige dieser Pfade und laufen in schwindelerregender Höhe über schmale, mit großer Fachkenntnis gemauerte Treppchen auf und ab. Wer die wohl alle gebaut hat.
An einer Stelle zeigt uns Bruno eine kleine Höhle. In ihr liegen einige Dinge, unter anderem Coca-Blätter. Bruno sagt, die Inkas, aber auch die heutigen Einwohner Perus glauben an heilige Orte, wie Höhlen und andere Besonderheiten in den Bergen und bringen bzw. brachten den Göttern viele Opfer. Zu Zeiten der Inkas waren das auch menschliche Opfer, nicht selten Kinder. Vor allem die anmutigsten Mädchen und Jungen, die schönsten Frauen und die stärksten Männer wurden wohl häufig ausgesucht oder auch auserkoren, denn dieser Dienst galt als höchste Ehre, ihr Leben zu opfern. Dabei wurden sie häufig mit berauschenden Mitteln eingeschläfert und nach dem Tod so konserviert, das auch heute noch immer wieder Mumien gefunden werden, nichts selten auf den Gipfeln der Berge, den heiligsten Orten also. Mir jagen diese Geschichten eine Gänsehaut über den Rücken, ich bedaure die ganzen Kinder, die so früh ihr Leben lassen mussten, versuche aber zu verstehen, dass sie dies wohl gerne getan haben. Größer könnte der Unterschied zu unserer Gesellschaft, die das Recht des individualisierten Menschen auf Ausleben seiner Wünsche als höchstes Gut zelebriert, nicht sein. Aber sind wir wirklich so viel zivilisierter, so viel fortgeschrittener? Ist unsere Lebensweise die nachhaltigere? Leben wir nicht auch auf Kosten von anderen, betreiben Raubbau an Natur, lassen menschenunwürdige Zustände an vielen Orten der Welt zu und liefern die Waffen, mit denen andere Völker sich abschlachten. Die Inkas haben bereits erfolgreich Gehirnoperationen durchgeführt, hatten ein blitzschnelles Nachrichtenübermittlungssystem durch die Anden und haben Pflanzen so kultiviert, dass sie in Höhen angebaut werden konnten, wie z.B. in Machu Picchu, wo es zuvor nicht denkbar war. Aber sie sind eines Tages von der Bildfläche verschwunden, und ich habe das Gefühl, dass sie nicht die einzige Hochkultur waren und bleiben werden, der das widerfahren könnte. Auf den Inkapfaden durch die Anden zu wandern verbindet einen auf seltsame Weise mit den Menschen und wir sehen die Berge und Flüsse, die auch sie sahen. Der Marsch führt uns herauf zu Klippen mit schöner Aussicht und wieder herunter, bis wir schließlich das Flusstal mit einer einfachen Seilbahn überwinden.
Wie sicher das ist? Keine Ahnung. Jedenfalls sind diese Gondeln permanent im Einsatz und werden von Hand hin- und hergezogen. Wir gelangen vor Santa Teresa zu den warmen Quellen, in denen wir dann endlich baden und uns entspannen, mit herrlichem Panorama auf die Berge, bis schließlich die Dämmerung hereinbricht.
Wir fahren den letzten Kilometer in unsere Unterkunft, essen in der Nähe zu Abend und fallen müde ins Bett. Am Morgen wollen wir zum Ziplining. Wir stehen früh auf, frühstücken um 7 Uhr und werden danach von einem Kleinbus abgeholt, der Jelle und mich sowie eine handvoll anderer Leute zu einem Ort mit einigen Hütten im Wald, im Flusstal zweier Berge bringt. Wir werden mit Ziplining-Gurt, Helm und Bremshandschuh ausgestattet. Dann führt uns einer der Mitarbeiter der Anlage einige hundert Meter höher den Hang der einen Berges hinauf. Über das Tal hinweg führen sechs gespannte Drahtseile, in unterschiedlichen Höhen und Richtung. Als wir die oberste Zipline erreicht haben, erhalten wir eine Einweisung, wie man sich beim Ziplinen zu verhalten hat, vor allem wie man bremst, ohne sich zu verletzten. Der Beckengurt, in dem man quasi sitzt, wird mit einer doppelt gesicherten Verbindung an der Line eingeklingt, wobei die eingebauten Rollen für eine reibungsarme Fahrt sorgen. Die linke Hand wird ganz oben aufgelegt, was einem hilft, sich während der Fahrt in die gewünschte Richtung zu drehen. Die rechte Hand mit dem Bremshandschuh wird erst kurz vor Ankunft am Seilende benutzt, um durch Aufdrücken des Leders auf das Stahlseil abzubremsen. Hierbei sollte man unbedingt zuvor nach oben schauen, damit man den Handschuh richtig auflegt und nicht mit der Haut ans Seil zu geraten. Der Mitarbeiter klinkt sich ein und fährt voraus. Ich schaue mir das an, zögere nicht lang und gehe als zweiter.
Erst als sich das tiefe Tal vor mir auftut, realisiere ich, was ich gerade tue. Aber der Spaß, den es macht, vertreibt schnell die Sorge, abzustürzen. Das oberste Seil ist am längsten, könnte ein Kilometer sein. Ich bremse rechtzeitig, nicht ohne vorher zu gucken, wo genau das Seil ist. Lande heil. Nun folgen die anderen. Ich mache Bilder, beglückwünsche die Ankommenden. Dann gehts zum nächsten Seil. Ich gehe wieder als einer der ersten, gebe jemand anderem meine Kamera, damit er Bilder von mir macht. So wiederholt sich das Spiel, die Angst wird weniger, der Spaß bleibt. Bis zur vorletzen Line: Da sollen wir den „Batman“ machen: die Hände loslassen und mit dem Kopf nach unten hängend ins Tal sausen. Ich zögere kurz: kann es noch wahnsinniger werden? Dann mache ich es. Es ist nicht angenehm, das kann ich sagen. Selten so beschissen gefühlt, könnte man auch sagen. Aber es geht gut, ist ja alles sicher, wie sie sagen. Rechtzeitig vor Ankunft nehme ich die Beine runter, lege die Hände wieder oben auf und nehme die normale Haltung ein, um ordentlich bremsen zu können. Dann kann mich auch die letzte Prüfung nicht mehr schocken: Superman. Wir sollen unsere Sicherungsgurte ausziehen, dann umgedreht wieder anlegen, mit der Lasche auf dem Rücken. so kann man in Superman-Haltung „fliegen“, freihändig. An diesem Seil muss nicht gebremst werden. Es ist flach und man kommt nicht sehr schnell ins Ziel. Diesmal können zwei gleichzeitig fahren. Jelle kommt mit. Wir halten uns am Anfang an einer Hand, spaßerhalber als Superman-Paar. Das geht aber nur eine Weile, ich bin schneller und filme alles mit der Digicam, die ich in der anderen Hand – ungesichert – halte. Eine Mordsgaudi. Wir haben fertig und gehen wieder zur Station, ziehen uns um und werden zurück ins Dorf gefahren, wo wir wieder mit Bruno zusammentreffen. Dann folgt die verbleibende Wanderung entlang des Flusses Urumbamba, bis nach Aguas Calientes, dem Dorf unterhalb von Machu Picchu. Die letzten Kilometer laufen wir entlang der Bahnstrecke, die nach Aguas Calientes führt. Dort kommt man nur zu Fuß oder mit der Bahn hin. Eine regelrechte Strasse gibt es nicht, so erklären sich auch die astronomischen Zugfahrpreise: Monopol eben. Immerhin sind die Züge der Perurail ganz nett anzuschauen, wie sie hier durch das Flusstal juckeln, in Zeitlupengeschwindigkeit.
Die Annäherung an Machu Picchu auf diese Weise, zu Fuß am Gleis entlang durch den Dschungel, hat schon für sich etwas besonderes für sich, fast mystisches. Wir nähern uns einem Weltwunder. Die Nacht bleiben wir in Aguas Calientes, ein vom Tourismus völlig überschwemmtes Dorf. Nur sehenswert, um sich die Auswüchse dieses Gewerbes in Extremform anzuschauen. Immerhin beeindruckend in das Tal steiler Berge eingezwängt, wo die Sonne früh untergeht.
Wir gehen auch früh schlafen. Müssen um 4 Uhr aufstehen. Wollen um 6 Uhr am Eingang sein. Jelle entscheidet sich, hoch zu laufen. Ich, den Bus um 5.10 Uhr zu nehmen. Mir geht es seit gestern nicht ganz so gut, eine Magen-Darm-Erkrankung zeichnet sich ab. Ich hoffe, den Besuch von Machu Picchu dennoch wie geplant machen zu können. Ich treffe Bruno am Bus, gemeinsam fahren wir hoch. Warten auf Jelle, der ewig braucht, bis er im inzwischen eingesetzten Regen plitschnass ankommt und sich erstmal umziehen muss. Dann führt uns Bruno in das wichtigste Weltkulturerbes Perus. Wir betreten die heilige Inka-Stadt. Es ist noch neblig, aber der Regen hat glücklicherweise aufgehört. Ich sehe bereits die Treppenflächen und Inka-Bauten, wie man sie von Bildern kennt.
Beeindruckend. Bruno erklärt die Bedeutung verschiedener Bauten. Viele Tempel. Höchste Baukunst und landschaftsplanerische Exzelenz. Mein guter Freund Hendrik Laue, Professor für Landschaftsplanung in Höxter, würde hier in Ekstase geraten. Tun wir aber auch. Wir haben höchste Erfurcht vor dem, was hier geschaffen – und erhalten wurde, erkunden das ganze Areal. Als Bruno sich schließlich nach zwei Stunden verabschiedet, gehen Jelle und ich zu zweit den Inka-Pfad entlang hoch, bis zum Sonnentor, einer Bergscharte. Von hier aus betreten die regulären Inka-Trail-Wanderer Machu Picchu. Der Blick ist atemberaubend.
Wir bleiben eine ganze Weile, ruhen uns aus, die Sonne ist inzwischen herausgekommen und es ist warm, schon fast heiß, von der Anstrengung des Aufstieges. Ein angenehmer Windzug pfeift über den Bergkamm. Wir sind allerdings nicht alleine: auch hier oben sind gut 50 Menschen. Auf dem ganzen Gelände dürften es schon einige Hundert sein, jeden Tag kommen 2.000 Menschen nach Machu Picchu, auch wenn die Unesco die Zahl gerne auf 500 beschränken würde. Die Besteigung der umliegenden Berge ist daher zusätzlich beschränkt und muss extra bezahlt werden.
Wir steigen wieder herab und gehen um den Berg herum zu der so genannten Inka-Brücke. Wir finden sie auch, ein schmales Holzbrett überbrückt eine tiefe Schlucht, der Pfad geht entlang einer steilen Wand.
Wir nehmen weitere Fotos von Machu Picchu, können uns fast nicht für seine Schokoladenseite entscheiden.
Wir geniessen noch einmal in vollen Zügen diesen Augenblick. Uns wird klar: das könnte das eine Mal in unserem Leben sein, dass wir diesen Ort mit eigenen Augen gesehen haben. Die beschwerliche Reise hierher macht man nicht alle Tage. Für einen Moment verdichtet sich unser ganzes Bewußtsein auf diese Lebenssekunde. Haben die Inkas nicht auch geglaubt, den Göttern auf den Berggipfeln ganz nahe zu sein? Die Realität holt uns jäh wieder ein, die vielen Touristen hier wollen Selfies machen…
Für Jelle und mich ist nun leider der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen. Für vier Tage waren wir gute Weggefährte, haben jeden Augenblick dieses Abenteuers geteilt. Ich muss zurück nach Aguas Calientes, mein Gepäck aus der Unterkunft holen und dann meinen Zug von Perurail besteigen. Trotz meines zunehmenden Magenunwohlseins schaffe ich es rechtzeitig, ich sitze im Zug. Er zuckelt langsam aus dem Tal von Aguas Calientes heraus. Mir wird bereits jetzt ein wenig wehmütig ums Herz. Dies war wahrscheinlich bereits der Höhepunkt meiner gesamten Reise. Was kann das noch toppen?
Nach zwei Stunden Fahrt erreiche ich in Dunkelheit das Örtchen Ollaytantambo im heiligen Tal des Inkas. Ich laufe den Kilometer zu meiner Unterkunft, finde die Eco-Lodge und bekomme ein großes Zimmer. Zu Abend esse ich in einer Bar auf dem Marktplatz eine Suppe, lerne eine spanische Familie kennen, die lange in Deutschand lebte, nun frisch nach Lima gezogen ist. Es sind sechs Kinder, die ganz süß auf deutsch mit mir parlieren. Zum ersten Mal auf meiner Reise spüre ich die Entfernung zu meiner eigenen Familie.
Am Morgen fühle ich mich besser, auch wenn der Magen noch verstimmt bleibt. Ich besichtige Ollantaytambo, auch hier gibt es Inkatempel. Ich besteige einen Berg, auf dessen Rückseite ich einen Wanderpfad vermute. Ich muss meine bescheidenen Kletterkenntnisse zusammennehmen, um es zu schaffen. Unterhalb des Gipfels wird mir mulmig, ungesichert wäre ein Absturz hier fatal. Ich kehre um, atme froh durch, als ich wieder heil herunterkomme. Genug Abenteuer für dieses Land.
Ich nehme ein Sammeltaxi zurück nach Cusco, wo mein Gepäck auf mich wartet. Während ich meine Schmutzwäsche in einer Schnellwäscherei waschen lasse, gehe ich etwas essen, um wenig später den Nachtbus nach La Paz in Bolivien zu besteigen. Mein Magenproblem ist leider noch nicht vorbei und die Aussicht auf eine 20-stündige Busfahrt erscheint mir nicht sehr attraktiv, auch wenn wir zweimal am Titicacasee halten und Ausflüge machen wollen. Die Bustoilette soll nicht benutzt werden!
Irgendwann schlafe ich ein, als der Busfahrer auf meine Bitte hin die Innentemperatur herunterdreht, nachdem es erst so warm war, dass man Kopfschmerzen bekommen mußte. Es geht durch die Anden und die dunkle peruanische Nacht. Die vergangenen Tage mit ihren vielen Erlebnissen verwandeln sich in Träume. Ich freue mich auf den Titicacasee.