Ins geheiligte Herz Perus: auf dem Inka Jungle Trail

Lima, die Hauptstadt Perus, ist eine Stadt, die in vielerlei Hinsicht sehr bemerkenswert ist. Obwohl am Meer gelegen, wird sie als „Wüstenstadt“ klimatisch auch mit Kario verglichen. So gibt es hier fast keinen Niederschlag, ganzjährig! Ich komme spät am Flughafen an und nehme ein teures offizielles Flughafen-Taxi. Gerade die Strecke zwischen Flughafen und der Innenstadt von Lima gilt einschlägig als gefährlich, selbst im Taxi. Die Limousine, mit der ich gefahren werde, ist äußerlich nicht als Taxi erkennbar. Es soll häufiger vorkommen, dass Taxen an der Ampel oder im Verkehr stehend von Kriminellen überfallen werden, wobei die Scheiben eingeworfen und das Gepäck herausgezerrt wird. In eine solche Situation möchte man sich tunlichst nicht begeben…dafür berappe ich für eine Fahrt von wenigen Kilometern stolze 35 US-Dollar, in diesem Land ein halbes Vermögen. Egal, ich komme sicher in meinem gebuchten AirBnB an und werde auch schon von Nataly erwartet, die mir die Wohnung zeigt und mir dann schließlich komplett überläßt! Die Wohnung ist im siebten Stockwerk und bietet ganz gute Aussichten auf die Stadt. Als ich am Morgen vor Sonnenaufgang aufwache, schleiche ich mich auf das unverschlossene Flachdach, auf dem tagsüber die Wäsche getrocknet wird, und passe den Sonnenaufgang ab.

Der erste Morgen in Lima, es erwartet mich eine Stadt voller Gegensätze..

Der erste Morgen in Lima, es erwartet mich eine Stadt und ein Land voller Gegensätze..

Später mache ich mich zu Fuß auf den Weg, die Stadt zu erkunden. Wir sind recht weit vom Zentrum entfernt, und so durchlaufe ich zunächst einige andere Viertel. In Miraflores geht es recht nobel zu, hier reiht sich eine Villa and die nächste. In San Isidro finde ich, wie vielfach in der Stadt vorhanden, einige hoch aufragende original antike Inkabauten, bzw. -tempel. In vielen Vierteln ist die Stadt sehr modern, so sprengt die Anzahl der internationalen Ketten (KFC, BurgerKing) alle Vorstellungen, die ich von Peru hatte. Es gibt viele neue Gebäude und Autos und ich habe fast den vorläufigen Eindruck, dass Lima im Vergleich südamerikanischer Hauptstädte recht modern ist. Vor allem die peruanische Küche genießt – noch als Geheimtipp – allerhöchsten Weltruf! Viele Einflüsse, auch aus China und Europa haben eine Feinschmecker-Küche bzw. -Szene entstehen lassen, auch für relativ „wenig“ Geld…

Die überall erhältliche INCA-Kola gehört nicht gerade zu den peruanischen Hochgenüßen, probieren sollte man sie aber dennoch zumindest.

Die überall erhältliche INCA-Kola gehört nicht gerade zu den peruanischen Hochgenüßen, probieren sollte man sie aber dennoch zumindest einmal.

Was noch beeindruckt: WIFI-Internet ist an vielen öffentlichen Plätzen gratis. Auch benutze ich hier UBER-Taxen, als eines der sichersten und trotzdem bezahlbaren Verkehrsmittel, ganz problemlos. An einem Abend fahre ich 15 Kilometer durch die Stadt: für ganze 8 Euro. Taxis von der Strasse zu nehmen, ist nicht risikofrei, da manche Fahrer in Raubaktionen involviert sind. Daher ist es besser, sich ein Uber oder anderes Funktaxi von einer Zentrale zu bestellen, hier sicherlich noch mehr, als in Cartagena! Lima gilt als eine der gefährlichsten Städte Südamerikas, so soll die Mordrate zwischen 5-10 pro Tag/Nacht liegen! Ansonsten gibt es in Lima noch so ausgefallene Dinge, wie einen riesigen Golfplatz, inmitten der Stadt. Ich war etwas enttäuscht, leider gar nicht hinschauen zu können, als ich ihn zu Fuß umrunden mußte. Dafür liegt nicht weit entfernt ein wunderschön idyllischer Olivenbaumpark, der öffentlich zugänglich ist.

Der rechte Ort, um sich in Lima etwas auszuruhen und das entspannende Grün zu genießen: der Parque el Olivar.

Der rechte Ort, um sich in Lima etwas auszuruhen und das entspannende Grün der Olivenbäume zu genießen: der Parque el Olivar.

Abends gehe ich ins beliebte Stadtviertel Barranco, hier gibt es die romantisch angestrahlte „Puente des los Suspiros“, die „Brücke der Seufzer“, welche bei vielen verzückten Turteltäubchen auszulösen vermag. Ich überquere sie, gemeinsam mit vielen anderen Touristen.

Wieviele Liebespärchen mußten hier schon seufzen?

Wieviele Liebespärchen mußten hier schon seufzen?

Unter der Brücke hindurch führt ein Weg hinunter zum Meer. Ich folge ihm und finde eine Plattform, die schöne Aussichten über die Strandautobahn hinweg erlaubt.

Blick auf die Küstenautobahn Limas in nächtlichen Lichterspiel.

Blick auf die Küstenautobahn Limas in nächtlichem Lichterspiel.

Dann gehe ich eine Pizza essen, treffe zwei andere Deutsche, wir unterhalten uns über Machu Picchu, wohin ich noch will. Ebenfalls des Abends besuche ich die Altstadt Limas und den Plaza Mayor, der mit seinen kolonialen Bauten sehr zu beeindrucken vermag.

Die Kathedrale von Lima am Plaza Mayor.

Die Kathedrale von Lima am Plaza Mayor. Viele Einwohner Limas sind auf den Strassen unterwegs.

Später finde ich noch das vom Reiseführer empfohlene Chifa-Restaurant Wa Lok in Chinatown und esse zu abend.

Durch die vielen chinesischen Einwanderer in Lima hat sich eine eigene chinesische-peruanische Fusionsküche herausgebildet, die kulinarisch auf hohem Niveau rangiert.

Durch die vielen chinesischen Einwanderer in Lima hat sich eine eigene chinesische-peruanische Fusionsküche herausgebildet, die kulinarisch auf höchstem Niveau rangiert.

Am Nachmittag des 25. März steige ich in den Nachtbus (TEPSA) nach Cusco. Von Cusco will ich dann eine geführte 4-Tage-Tour nach Machu Picchu machen, mit einem unter anderem von Lonely Planet empfohlenen Anbieter für Spezialtouren: Lorenzo Expeditions. Bei diesem alternativen Inka-Pfad fährt man den ersten Tag mit einem Mountainbike von einem 4,5 Kilometer hohen Berg 3 Stunden lang bergab! Die Reisedauer nach Cusco beträgt 22 Stunden, bei Verkehrsproblemen, die in den Anden jederzeit von jetzt auf gleich aufgrund von Überschwemmungen oder Steinlawinen die Strassen unpassierbar machen können, dauert es natürlich länger. Ich steige um fünf Uhr nachmittags ein und erhalte auch ein kleines Abendessen. Die Sitze sind erstklassig, lassen sich auf 160 Grad nach hinten schwenken und dank einer Beinablage kann man auch einigermaßen schlafen. Störend sind nur die drei actiongeladenen Filme, die noch am Abend bei extremer Lautstärke gezeigt werden. Ich schaue einen, dann behelfe ich mir mir Ohrenstöpseln, über die ich noch meine Kopfhörer drüber ziehe und somit geräuschgedämpft Musik hören kann. Endlich, gegen 23.30 Uhr endet der letzte Film und die Nachtruhe beginnt. Wir sind ab Lima einige Stunden auf der „Panamericana“ gefahren, das ist die berühmte Trasse, auf der man quasi von Alaska aus bis nach Feuerland Nord- und Südamerika an der Westküste entlang abfahren kann, was jedes Jahr nicht wenige machen. Eine Kultstrecke, die beim Verlassen von Lima auch an den Armenvierteln Limas vorbeiführt.

Interessante geologische Formationen entlang der Panamericana.

Interessante geologische Formationen entlang der Panamericana.

Irgendwann in der Nacht sind wir dann vor der Panamericana abgebogen, Richtung Anden. Dann wird es bald kurvig und das wird bis Cusco auch so bleiben. Nichts für Leute, die leicht reisekrank werden. Als ich am Morgen gegen halb sechs erwache, ist es im Bus zwar warm genug, aber ich kann erkennen, dass es draussen kalt zu sein scheint. Ich schalte die Navigations-App meines Handys ein und prüfe die Höhe: wir sind bereits auf 4.500 Meter über dem Meeresspiegel!

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4.500 Höhenmeter über Normalnull. Der Bus hat keine Probleme damit…

Ich wüßte nicht, wann ich in meinem Leben schonmal auf dieser Höhe Auto oder Bus gefahren bin. Anzeichen von Höhenkrankheit verspüre ich aber soweit nicht. Ich sehe schneebedeckte Berggipfel und kleine peruanische Dörfer, es laufen auch Lamas herum. Die Sonne geht auf und ich genieße spektakuläre Aussichten von den Pässen, die uns hoch und runter durch die Berge führen. Hier und da kann ich Anzeichen von kürzlichen Steinabgängen auf der Strasse sehen, es liegen große Felsen herum, die wir zum Teil umfahren. Am anderen Flussufer ist ein Bagger zugange, der Felsen von der Strasse beseitigt – Alltag in den Anden.

Wie von einer anderen Welt: die Anden und wir mittendrin..

Wie von einer anderen Welt: die Anden…

Wir halten in einem Tal, um eine Frühstückspause einzulegen. Die Einheimischen essen um diese Uhrzeit bereits sehr herzhafte Speisen wie Fleisch, Fisch, Suppen. Ich trinke nur Cafe con Leche. Die Sonne wird bereits intensiver. Wir fahren weiter, es heißt, wir müssen einen kleinen Umweg machen, da eine Brücke nicht passierbar sei. Dann werden wieder Videos eingelegt. Ich nehme wieder meine Kopfhörer..trotz des Umweges kommen wir dann aber pünktlich am Mittag in Cusco an, auf rund 3.500 Meter. Ein Taxi bringt mich in die Unterkunft. Solangsam setzt bei mir ein leichtes Kopfweh ein. Der freundliche Pensionsbesitzer bietet mir Tee an, mit Mate- und Cocablättern zubereitet. Das soll helfen. Ich trinke reichlich und meine, Linderung zu verspüren. Die heftige Höhenkrankheit, die ich Anfang Dezember auf gleicher Höhe in den Rocky Mountains hatte, kehrt nicht wieder. Ich mache aber auch keinen „Hochleistungssport“, wie damals, als wir sechs Stunden einen Paß hinauf Langlaufski gelaufen sind. Ich lasse es diesmal ganz ruhig angehen. Nachdem ich mich kurz akklimatisiert habe, gehe ich zu „Lorenzo Expeditions“, bei denen ich bereits für den kommenden Morgen eine viertägige „Inca-Jungle-Trail-Tour“ gebucht habe. Die muss ich vorab bezahlen und erhalte erste Instruktionen für die Tour. Dann geht die Senorita noch mit mir zum Büro von „Perurail“, damit ich direkt meine Zugrückfahrkarte kaufen kann. Kostenpunkt: 79 US-Dollar, für eine Strecke von rund 50 Kilometern! Seis drum, gehört eben zum Gesamterlebnis von Machu Picchu, wo die geführte Tour endet. Die Tour selbst macht 256 US-Dollar, was ich in Ordnung finde, da neun Mahlzeiten und drei Übernachtungen inklusive sind, sowie der Eintritt für Machu Picchu, welcher allein schon über 50 USD kostet. Ich gehe früh schlafen, stehe früh, gegen 5 Uhr auf und packe für die Tour. Es soll nur ein kleiner Tagesrucksack mitgebracht werden. Mein übriges Gepäck lasse ich im Hotel, wo es die vier Tage für mich aufbewahrt wird. Um sechs Uhr trete ich auf die Gasse, in der mein Hotel liegt und dort steht bereits ein Mann, der Joachim heißt, der Sohn von Lorenzo. Es gibt keine Zeit für Smalltalk, sofort werde ich in einen Kleinbus bugsiert, mit dem wir weitere Aspiranten abholen. Dann werden wir zu einer der Lodges von Lorenzo gefahren, wo es erstmal Frühstück gibt. Unsere Gruppe besteht nur aus 5 Personen, es ist Nebensaison. Nach dem Frühstück bringen uns die Guides mit dem Bulli auf einen Berg, Alta Mancha, in 4.500 Meter Höhe, von wo aus wir auf Mountainbikes und mit Protektoren, Helmen und Handschuhen bestückt den Berg hinabfahren.

Hier habe ich schon den größten Teil der Anfahrt hinter mir, mein Hintern ist durch die vielen Bachdurchquerungen naß...

Hier habe ich schon den größten Teil der Abfahrt hinter mir, mein Hintern ist durch die vielen Bachdurchquerungen patschnaß…

Drei Stunden lang bauen wir drei Höhenkilometer ab, die Strasse ist gut asphaltiert, kurvenreich und führt hier und da durch gar nicht mal kleine Bäche, die über die Strasse laufen. Leider ist es an diesem Morgen sehr neblig und wir haben nicht viel von der Aussicht, die rasante Fahrt bergab macht dennoch Spaß. Mit jedem Meter, den wir tiefer kommen, wird es zugleich wärmer, und solangsam haben wir zuviel warme Kleidung an. Wir halten und entledigen uns der warmen Jacken und Fleece. Meine Thermounterwäsche, die ich vorsorglich angezogen hatte, kann ich natürlich nicht ausziehen. Nach drei Stunden kommen wir, durchgeschwitzt und auch naß von den Bachdurchquerungen, zufrieden in der Lorenzo Lodge in Santa Maria an, wo wir unsere Zimmer beziehen und dann Mittagessen gehen. Den Rest des Tages verbringen die anderen mit Rafting, mein niederländischer Zimmergenosse Jelle und ich erkunden die Umgebung.

Jelle und ich finden eine einfache Seilbahn, wie wir sie zwei Tage später wirklich benutzen werden.

Jelle und ich finden eine einfache Seilbahn, wie wir sie zwei Tage später wirklich benutzen werden.

Am Abend spielen wir Billard und trinken Pisco Sour, der peruanische „Nationalcocktail“. Morgens gibt’s Frühstück auf dem offenen Patio mit Blick in die Schlucht, durch die der Fluss läuft, dessen Rauschen uns nachts in den Schlaf „gesungen“ hat. Für eine kurze Strecke fahren wir gemeinsam im Kleinbus, dann heißt es schon Abschied nehmen von Dreien unserer Gruppe, die nur die dreitägige Tour gebucht haben. Jelle und ich steigen gemeinsam mit unserem Guide Bruno aus und machen uns auf in den peruanischen Dschungel. Dabei kommen wir durch kleinere Anbaugebiete für Kaffee, Kakao, Bananen und natrülich Coca. Wir halten öfter, schauen, riechen, probieren hier und da und schauen uns den Prozess der Kaffeeherstellung an. In kleinen Mengen wird er sogar vor Ort geröstet und wir kaufen ein paar kleine Dosen. Bruno erklärt viel und gibt uns bei allem immer mehr Einblick in die heutige Kultur Perus, aber auch die vormalige Kultur der Inkas.

Guide Bruno malt Jelle und mir Inka-Tribals auf die Arme.

Guide Bruno malt Jelle und mir Inka-Tribals auf die Arme.

Die Berge waren den Inkas heilig und darum führen auch die Inkapfade immer weit oben durch die Berge. Auch wir besteigen einige dieser Pfade und laufen in schwindelerregender Höhe über schmale, mit großer Fachkenntnis gemauerte Treppchen auf und ab. Wer die wohl alle gebaut hat.

Treppauf und treppab gehts auf Inkapfaden durch die Berge, teils in schwindeleregender Höhe.

Treppauf und treppab gehts auf Inkapfaden durch die Berge, teils in schwindeleregender Höhe.

An einer Stelle zeigt uns Bruno eine kleine Höhle. In ihr liegen einige Dinge, unter anderem Coca-Blätter. Bruno sagt, die Inkas, aber auch die heutigen Einwohner Perus glauben an heilige Orte, wie Höhlen und andere Besonderheiten in den Bergen und bringen bzw. brachten den Göttern viele Opfer. Zu Zeiten der Inkas waren das auch menschliche Opfer, nicht selten Kinder. Vor allem die anmutigsten Mädchen und Jungen, die schönsten Frauen und die stärksten Männer wurden wohl häufig ausgesucht oder auch auserkoren, denn dieser Dienst galt als höchste Ehre, ihr Leben zu opfern. Dabei wurden sie häufig mit berauschenden Mitteln eingeschläfert und nach dem Tod so konserviert, das auch heute noch immer wieder Mumien gefunden werden, nichts selten auf den Gipfeln der Berge, den heiligsten Orten also. Mir jagen diese Geschichten eine Gänsehaut über den Rücken, ich bedaure die ganzen Kinder, die so früh ihr Leben lassen mussten, versuche aber zu verstehen, dass sie dies wohl gerne getan haben. Größer könnte der Unterschied zu unserer Gesellschaft, die das Recht des individualisierten Menschen auf Ausleben seiner Wünsche als höchstes Gut zelebriert, nicht sein. Aber sind wir wirklich so viel zivilisierter, so viel fortgeschrittener? Ist unsere Lebensweise die nachhaltigere? Leben wir nicht auch auf Kosten von anderen, betreiben Raubbau an Natur, lassen menschenunwürdige Zustände an vielen Orten der Welt zu und liefern die Waffen, mit denen andere Völker sich abschlachten. Die Inkas haben bereits erfolgreich Gehirnoperationen durchgeführt, hatten ein blitzschnelles Nachrichtenübermittlungssystem durch die Anden und haben Pflanzen so kultiviert, dass sie in Höhen angebaut werden konnten, wie z.B. in Machu Picchu, wo es zuvor nicht denkbar war. Aber sie sind eines Tages von der Bildfläche verschwunden, und ich habe das Gefühl, dass sie nicht die einzige Hochkultur waren und bleiben werden, der das widerfahren könnte. Auf den Inkapfaden durch die Anden zu wandern verbindet einen auf seltsame Weise mit den Menschen und wir sehen die Berge und Flüsse, die auch sie sahen. Der Marsch führt uns herauf zu Klippen mit schöner Aussicht und wieder herunter, bis wir schließlich das Flusstal mit einer einfachen Seilbahn überwinden.

Hier müssen wir rüber, es gibt nur einen Weg...

Hier müssen wir rüber, es gibt nur einen Weg…

Wie sicher das ist? Keine Ahnung. Jedenfalls sind diese Gondeln permanent im Einsatz und werden von Hand hin- und hergezogen. Wir gelangen vor Santa Teresa zu den warmen Quellen, in denen wir dann endlich baden und uns entspannen, mit herrlichem Panorama auf die Berge, bis schließlich die Dämmerung hereinbricht.

Im Hintergrund die warmen Quellen von Santa Teresa. Nach einem erfrischenden peruanischem Bier gehen wir darin baden.

Im Hintergrund die warmen Quellen von Santa Teresa. Nach einem erfrischenden peruanischem Bier gehen wir darin baden.

Wir fahren den letzten Kilometer in unsere Unterkunft, essen in der Nähe zu Abend und fallen müde ins Bett. Am Morgen wollen wir zum Ziplining. Wir stehen früh auf, frühstücken um 7 Uhr und werden danach von einem Kleinbus abgeholt, der Jelle und mich sowie eine handvoll anderer Leute zu einem Ort mit einigen Hütten im Wald, im Flusstal zweier Berge bringt. Wir werden mit Ziplining-Gurt, Helm und Bremshandschuh ausgestattet. Dann führt uns einer der Mitarbeiter der Anlage einige hundert Meter höher den Hang der einen Berges hinauf. Über das Tal hinweg führen sechs gespannte Drahtseile, in unterschiedlichen Höhen und Richtung. Als wir die oberste Zipline erreicht haben, erhalten wir eine Einweisung, wie man sich beim Ziplinen zu verhalten hat, vor allem wie man bremst, ohne sich zu verletzten. Der Beckengurt, in dem man quasi sitzt, wird mit einer doppelt gesicherten Verbindung an der Line eingeklingt, wobei die eingebauten Rollen für eine reibungsarme Fahrt sorgen. Die linke Hand wird ganz oben aufgelegt, was einem hilft, sich während der Fahrt in die gewünschte Richtung zu drehen. Die rechte Hand mit dem Bremshandschuh wird erst kurz vor Ankunft am Seilende benutzt, um durch Aufdrücken des Leders auf das Stahlseil abzubremsen. Hierbei sollte man unbedingt zuvor nach oben schauen, damit man den Handschuh richtig auflegt und nicht mit der Haut ans Seil zu geraten. Der Mitarbeiter klinkt sich ein und fährt voraus. Ich schaue mir das an, zögere nicht lang und gehe als zweiter.

Die erste Zipline habe ich überlebt, es folgen noch fünf, zum Teil kopfüber und freihändig..

Die erste Zipline habe ich überlebt, es folgen noch fünf, zum Teil kopfüber und freihändig..

Erst als sich das tiefe Tal vor mir auftut, realisiere ich, was ich gerade tue. Aber der Spaß, den es macht, vertreibt schnell die Sorge, abzustürzen. Das oberste Seil ist am längsten, könnte ein Kilometer sein. Ich bremse rechtzeitig, nicht ohne vorher zu gucken, wo genau das Seil ist. Lande heil. Nun folgen die anderen. Ich mache Bilder, beglückwünsche die Ankommenden. Dann gehts zum nächsten Seil. Ich gehe wieder als einer der ersten, gebe jemand anderem meine Kamera, damit er Bilder von mir macht. So wiederholt sich das Spiel, die Angst wird weniger, der Spaß bleibt. Bis zur vorletzen Line: Da sollen wir den „Batman“ machen: die Hände loslassen und mit dem Kopf nach unten hängend ins Tal sausen. Ich zögere kurz: kann es noch wahnsinniger werden? Dann mache ich es. Es ist nicht angenehm, das kann ich sagen. Selten so beschissen gefühlt, könnte man auch sagen. Aber es geht gut, ist ja alles sicher, wie sie sagen. Rechtzeitig vor Ankunft nehme ich die Beine runter, lege die Hände wieder oben auf und nehme die normale Haltung ein, um ordentlich bremsen zu können. Dann kann mich auch die letzte Prüfung nicht mehr schocken: Superman. Wir sollen unsere Sicherungsgurte ausziehen, dann umgedreht wieder anlegen, mit der Lasche auf dem Rücken. so kann man in Superman-Haltung „fliegen“, freihändig. An diesem Seil muss nicht gebremst werden. Es ist flach und man kommt nicht sehr schnell ins Ziel. Diesmal können zwei gleichzeitig fahren. Jelle kommt mit. Wir halten uns am Anfang an einer Hand, spaßerhalber als Superman-Paar. Das geht aber nur eine Weile, ich bin schneller und filme alles mit der Digicam, die ich in der anderen Hand – ungesichert – halte. Eine Mordsgaudi. Wir haben fertig und gehen wieder zur Station, ziehen uns um und werden zurück ins Dorf gefahren, wo wir wieder mit Bruno zusammentreffen. Dann folgt die verbleibende Wanderung entlang des Flusses Urumbamba, bis nach Aguas Calientes, dem Dorf unterhalb von Machu Picchu. Die letzten Kilometer laufen wir entlang der Bahnstrecke, die nach Aguas Calientes führt. Dort kommt man nur zu Fuß oder mit der Bahn hin. Eine regelrechte Strasse gibt es nicht, so erklären sich auch die astronomischen Zugfahrpreise: Monopol eben. Immerhin sind die Züge der Perurail ganz nett anzuschauen, wie sie hier durch das Flusstal juckeln, in Zeitlupengeschwindigkeit.

Idyliisch ist diese Bahnstrecke von Perurail ja, das muss man schon zugeben.

Idyliisch ist diese Bahnstrecke von Perurail ja, das muss man schon zugeben.

Die Annäherung an Machu Picchu auf diese Weise, zu Fuß am Gleis entlang durch den Dschungel, hat schon für sich etwas besonderes für sich, fast mystisches. Wir nähern uns einem Weltwunder. Die Nacht bleiben wir in Aguas Calientes, ein vom Tourismus völlig überschwemmtes Dorf. Nur sehenswert, um sich die Auswüchse dieses Gewerbes in Extremform anzuschauen. Immerhin beeindruckend in das Tal steiler Berge eingezwängt, wo die Sonne früh untergeht.

Die Züge der Perurail verbreiten einen Hauch von Nostalgie.

Die Züge der Perurail verbreiten einen Hauch von Nostalgie.

Wir gehen auch früh schlafen. Müssen um 4 Uhr aufstehen. Wollen um 6 Uhr am Eingang sein. Jelle entscheidet sich, hoch zu laufen. Ich, den Bus um 5.10 Uhr zu nehmen. Mir geht es seit gestern nicht ganz so gut, eine Magen-Darm-Erkrankung zeichnet sich ab. Ich hoffe, den Besuch von Machu Picchu dennoch wie geplant machen zu können. Ich treffe Bruno am Bus, gemeinsam fahren wir hoch. Warten auf Jelle, der ewig braucht, bis er im inzwischen eingesetzten Regen plitschnass ankommt und sich erstmal umziehen muss. Dann führt uns Bruno in das wichtigste Weltkulturerbes Perus. Wir betreten die heilige Inka-Stadt. Es ist noch neblig, aber der Regen hat glücklicherweise aufgehört. Ich sehe bereits die Treppenflächen und Inka-Bauten, wie man sie von Bildern kennt.

Wir sind am Ziel unserer viertägigen Inka-Jungle-Trail-Tour. Glücklich und zugleich traurig, dass sie hier endet. Überwältig von dem Zauber dieses Ortes.

Wir sind am Ziel unserer viertägigen Inka-Jungle-Trail-Tour. Glücklich und zugleich traurig, dass sie hier endet. Und: überwältigt von dem Zauber dieses Ortes.

Beeindruckend. Bruno erklärt die Bedeutung verschiedener Bauten. Viele Tempel. Höchste Baukunst und landschaftsplanerische Exzelenz. Mein guter Freund Hendrik Laue, Professor für Landschaftsplanung in Höxter, würde hier in Ekstase geraten. Tun wir aber auch. Wir haben höchste Erfurcht vor dem, was hier geschaffen – und erhalten wurde, erkunden das ganze Areal. Als Bruno sich schließlich nach zwei Stunden verabschiedet, gehen Jelle und ich zu zweit den Inka-Pfad entlang hoch, bis zum Sonnentor, einer Bergscharte. Von hier aus betreten die regulären Inka-Trail-Wanderer Machu Picchu. Der Blick ist atemberaubend.

Hier oben sind nicht allein, dennoch genießen wir die Aussicht und die besondere Atmosphäre.

Hier oben sind wir nicht allein, dennoch genießen wir die Aussicht und die besondere Atmosphäre.

Wir bleiben eine ganze Weile, ruhen uns aus, die Sonne ist inzwischen herausgekommen und es ist warm, schon fast heiß, von der Anstrengung des Aufstieges. Ein angenehmer Windzug pfeift über den Bergkamm. Wir sind allerdings nicht alleine: auch hier oben sind gut 50 Menschen. Auf dem ganzen Gelände dürften es schon einige Hundert sein, jeden Tag kommen 2.000 Menschen nach Machu Picchu, auch wenn die Unesco die Zahl gerne auf 500 beschränken würde. Die Besteigung der umliegenden Berge ist daher zusätzlich beschränkt und muss extra bezahlt werden.

Wir steigen wieder herab und gehen um den Berg herum zu der so genannten Inka-Brücke. Wir finden sie auch, ein schmales Holzbrett überbrückt eine tiefe Schlucht, der Pfad geht entlang einer steilen Wand.

Die legendäre Inka-Brücke.

Die legendäre Inka-Brücke. Für uns nicht ist das Betreten nicht gestattet.

Wir nehmen weitere Fotos von Machu Picchu, können uns fast nicht für seine Schokoladenseite entscheiden.

Für einen kurzen Moment erhellt das

Für einen kurzen Moment erhellt das „Spotlight“ der Sonne das Zentrum von Machu Picchu.

Wir geniessen noch einmal in vollen Zügen diesen Augenblick. Uns wird klar: das könnte das eine Mal in unserem Leben sein, dass wir diesen Ort mit eigenen Augen gesehen haben. Die beschwerliche Reise hierher macht man nicht alle Tage. Für einen Moment verdichtet sich unser ganzes Bewußtsein auf diese Lebenssekunde. Haben die Inkas nicht auch geglaubt, den Göttern auf den Berggipfeln ganz nahe zu sein? Die Realität holt uns jäh wieder ein, die vielen Touristen hier wollen Selfies machen…

Für Jelle und mich ist nun leider der Zeitpunkt des Abschiedes gekommen. Für vier Tage waren wir gute Weggefährte, haben jeden Augenblick dieses Abenteuers geteilt. Ich muss zurück nach Aguas Calientes, mein Gepäck aus der Unterkunft holen und dann meinen Zug von Perurail besteigen. Trotz meines zunehmenden Magenunwohlseins schaffe ich es rechtzeitig, ich sitze im Zug. Er zuckelt langsam aus dem Tal von Aguas Calientes heraus. Mir wird bereits jetzt ein wenig wehmütig ums Herz. Dies war wahrscheinlich bereits der Höhepunkt meiner gesamten Reise. Was kann das noch toppen?

Der Zug von Perurail bietet immerhin Panoramafenster und einen gewissen "postkolonialen" Flair.

Der Zug von Perurail bietet immerhin Panoramafenster und einen gewissen „präkolonialen“ Flair.

Nach zwei Stunden Fahrt erreiche ich in Dunkelheit das Örtchen Ollaytantambo im heiligen Tal des Inkas. Ich laufe den Kilometer zu meiner Unterkunft, finde die Eco-Lodge und bekomme ein großes Zimmer. Zu Abend esse ich in einer Bar auf dem Marktplatz eine Suppe, lerne eine spanische Familie kennen, die lange in Deutschand lebte, nun frisch nach Lima gezogen ist. Es sind sechs Kinder, die ganz süß auf deutsch mit mir parlieren. Zum ersten Mal auf meiner Reise spüre ich die Entfernung zu meiner eigenen Familie.

Am Morgen fühle ich mich besser, auch wenn der Magen noch verstimmt bleibt. Ich besichtige Ollantaytambo, auch hier gibt es Inkatempel. Ich besteige einen Berg, auf dessen Rückseite ich einen Wanderpfad vermute. Ich muss meine bescheidenen Kletterkenntnisse zusammennehmen, um es zu schaffen. Unterhalb des Gipfels wird mir mulmig, ungesichert wäre ein Absturz hier fatal. Ich kehre um, atme froh durch, als ich wieder heil herunterkomme. Genug Abenteuer für dieses Land.

Ich nehme ein Sammeltaxi zurück nach Cusco, wo mein Gepäck auf mich wartet. Während ich meine Schmutzwäsche in einer Schnellwäscherei waschen lasse, gehe ich etwas essen, um wenig später den Nachtbus nach La Paz in Bolivien zu besteigen. Mein Magenproblem ist leider noch nicht vorbei und die Aussicht auf eine 20-stündige Busfahrt erscheint mir nicht sehr attraktiv, auch wenn wir zweimal am Titicacasee halten und Ausflüge machen wollen. Die Bustoilette soll nicht benutzt werden!

Irgendwann schlafe ich ein, als der Busfahrer auf meine Bitte hin die Innentemperatur herunterdreht, nachdem es erst so warm war, dass man Kopfschmerzen bekommen mußte. Es geht durch die Anden und die dunkle peruanische Nacht. Die vergangenen Tage mit ihren vielen Erlebnissen verwandeln sich in Träume. Ich freue mich auf den Titicacasee.

Das Bild über meinem Bett in Ollantaytambo faßt die Mythologie der Inka zusammen: Kondor, Schlange und Puma.

Das Bild über meinem Bett in Ollantaytambo faßt die Mythologie der Inka zusammen: Kondor, Schlange und Puma werden besondere Kräfte zugeschrieben.

Cartagena, Columbia – una ciudad bonita

Nachdem ich gelandet bin und erstmalig in meinem Leben südamerikanischen Boden betrete, bekomme ich einen Vorgeschmack auf die hier noch vorherrschende Bürokratie. Die Abwicklung der Einreise für die Passagiere geht sehr zäh vor sich und dauert ewig. Nach einer guten Stunde haben sie die Passagiere des einzigen – unseres – Fluges abgefertigt.

Endlich bin ich durch und finde mein Gepäck bereits neben dem Band liegend. Gleich kommt ein uniformierter Mann auf mich zu und fragt, ob ich ein Taxi brauche. Ich sage ja, denn es wird geraten, sich in Südamerika an die offiziellen Taxibetreiber zu halten, um nicht Opfer krimineller Banden zu werden, die z.B. durch „Expressentführungen“ samt Abpressung von Kreditkarten und Pin-Nummer Kasse machen. Typischerweise führt mich der Mann zu einem anderen, der mich wiederum zu einem Privatauto führt, ohne Taxikennzeichen. Ich steige dennoch ein. Man sollte wann möglich seiner Intuition folgen und ich habe bei ihm kein schlechtes Gefühl. Obwohl er versucht, während der Fahrt den Fahrpreis zu verdoppeln, lässt er sich wieder auf den Ursprungspreis bringen – immer noch genug für ihn – und warnt mich davor, zu unbedacht in diesem „Barrio“ herumzuspazieren. Er wohne um die Ecke und kenne sich aus. Wir finden meine über AirBnB gebuchte Unterkunft, das Casa Yulda. Die Gartenpforte ist verriegelt und ich bitte ihn, zu hupen. Schon kommt eine Señora, um aufzumachen. Es ist Yuly.

Das Casa Yulda. Einfach, aber zum Wohlfühlen, mit netten Menschen, die hier leben oder einfach nur mal vorbeischauen...

Das Casa Yulda. Einfach, aber zum Wohlfühlen, mit netten Menschen, die hier leben oder einfach nur mal vorbeischauen…

Endlich kann ich mich mit Gepäck „in Sicherheit“ bringen. Die Transfers zwischen Flughafen oder Bahnhof und Unterkunft sind immer die heikelsten Momente in Ländern, wie diesen, da man mit vollem Gepäck und allen Wertsachen am verwundbarstem ist, zugleich am attraktivsten für Kriminelle. Darum sollte man auf diesen auch nie versuchen, hierbei das Geld für ein Taxi zu sparen. Das ist immer noch am sicherstem, sofern man da nicht das falsche nimmt, wie gesagt.

An diesem Abend sind ein paar Gäste im Haus, es wird der Abschied einer Deutschen begossen, die hier einige Monate in einem deutschen Kulturzentrum als Deutschlehrerin gearbeitet hat (Partnerorganisation vom Goethe Institut in Bogotá). Ich lerne gleich ein paar Leute kennen, was schön ist. Kolumbianer sowie Ausländer. Obwohl ich bald schon sehr müde bin und mich kurz hinlege, zwinge ich mich dann doch, wieder aufzustehen und Konversation zu machen. Ein solche verpasste Chance würde ich am nächsten Tag vielleicht bereuen. Irgendwann gehen die Gäste und wir ins Bett. Am nächsten Morgen wollen ein paar auf eine nahegelegene Insel fahren: die „Isla Tierra Bomba“. Man muss dafür in die Stadt, wir nehmen wieder ein Taxi und dann ein Boot.

Die diversen Anbieter von Überfahrten auf die Isla de Tierra Bomba warten schon.

Die diversen Anbieter von Überfahrten auf die Isla Tierra Bomba warten schon am Strand der cartagenischen Peninsula Boca Grande, wo viele reiche Kolumbianer, nicht wenige aus Bogotá, Luxusappartments in den Hochhäusern haben.

Drüben angekommen, lassen wir unsere Sachen in dem Haus einer Bekannten und laufen los, ohne Schuhe. Ich und auch zwei andere haben nicht mitbekommen, dass es jetzt schon zum Strand geht und dass der gar nicht mal so nahe ist. Wir dachten, wir gehen mal eben durchs Dorf und kaufen ein. Nachdem wir in der Mittagsglut gut eine halbe Stunde über teilweise spitze Steine die Küste entlanggelaufen sind, wird der Sand allmählich unerträglich heiß. Wir flüchten von Schatten zu Schatten und fluchen, zugleich über unsere Dummheit lachend. Irgendwann hab ich die Nase voll. Ich beginne, den Strand nach angeschwemmtem Fusswerk abzusuchen. Flipflops, Turnschuhe, mir egal. Und ich werde in kürzester Zeit überraschend fündig. Ich sammele ca. ein Dutzend und mehr als Besohlung unserer geschundenen Füsse geeigneten Strandgut-Schuhe. Damit versorge ich mich und drei andere Personen der Gruppe, die alle dankbar die Sohlen anziehen, keiner ist sich zu fein.

Unter normalen Umständen hätten wir dies Strandgut nicht mal in die Hand genommen...aber in dieser "Notsituation" sind alle froh, besohlten Füsse zu haben!

Unter normalen Umständen hätten wir dies Strandgut nicht mal in die Hand genommen…aber in dieser „Notsituation“ sind alle froh, besohlte Füsse zu haben!

Nun geht’s noch durch einen Kokusnuss-Hain, in dem uns der Bauer einige Kokosnüsse von den Palmen holt und auch nichts dafür haben will. Damit spazieren wir weiter zu dem Strand, der wohl unser Ziel darstellt. Er ist auch tatsächlich ganz schön und wir haben ihn weitgehend für uns. Wir baden, öffnen die Kokosnüsse mit der Machete, trinken die Kokosmilch, essen das Fruchtfleisch und geniessen das Ambiente. Einige Stunden später machen wir uns auf den Rückweg ins Dorf und werden zurück bei der Bekannten, die für uns gekocht hat, mit Fisch und Reis verköstigt.

Die Häuser hier auf der Insel sind sehr einfach. Wir genießen das Essen direkt am  Wasser und den Blick zurück auf Cartagena. Margarita (Deutsche) und Yuly machen Fotos.

Die Häuser hier auf der Insel sind sehr einfach. Wir genießen das Essen direkt am Wasser und den Blick zurück auf Cartagena. Margarita (eine Deutsche) und Yuly machen Fotos.

Dann nehmen wir wieder ein Boot und fahren zurück zum Festland. Erstmalig laufe ich durch ein Stück der Altstadt von Cartagena, die sehr schön und sehenswert ist. Viele Häuser haben hölzerne Balkone, eine Augenweide.

Die Altstadt von Cartagena ist komplett von einer gut erhaltenen Befestigungsmauer umgeben und beherbergt viele hübsche, neu restaurierte Altbauten.

Die Altstadt von Cartagena ist komplett von einer gut erhaltenen Befestigungsmauer umgeben und beherbergt viele hübsche, neu restaurierte Altbauten.

Ich nehme ein Taxi zurück zum Casa Yulda, es wird schon dunkel. Am kommenden Tag kehre ich mit Keko, einem Kolumbianer, der mit Yuly, der Gastwirtin befreundet ist und ihr hier und da hilft, sowie zwei seiner Freunde zurück in die Altstadt und mit der Unterstützung der Ortskundigen erhalte ich nun eine vernünftige Führung. Wir besuchen auch das zentrumsnahe Viertel „Getsemani“ das mittlerweile einen Kultstatus unter Reisenden, wie Einheimischen genießt, auch und gerade, weil es noch etwas mehr an heruntergekommenem Charme besitzt und teilweise ein „Ghetto“ beherbergt. Überall finden sich Graffitis und viele Hostels und Bars haben sich hier inzwischen eingenistet.

Eine der Strassen in Getsemani, wohin es viele Touristen und junge Cartagener hinzieht.

Eine der Strassen in Getsemani, wohin es viele Touristen und junge Cartagener zieht.

An verschiedenen „Plazas“ ist auch noch authentisches Stadtleben zu besichtigen, anwohnende Jungs spielen Fussball, Musik weht durch die Luft, an einigen Ständen sind frittierte Leckereien und auch „Pollo Asado“ zu kaufen, Brathähnchen. Den Sonnenuntergang genießen wir, nur durch eine Brücke entfernt, im nächsten Stadtteil „Manga“, wo eine Marina mit historischer Befestigungsanlage einen traumhaften Ausblick auf Stadt, Wasser und Hafen bietet.

Ein traumhafter Ort für Sonnenuntergänge: Die historischen spanischen Befestigungsanlagen im Stadtteil Manga.

Ein perfekter Ort für Sonnenuntergänge: Die historische Befestigungsanlage, Hinterlassenschaft der Spanier, im Stadtteil Manga.

An nächsten Tag nehmen wir ein Taxi hoch auf den Berg „Cerro de la Pope“, wo ein altes Nonnenkloster die Touristen lockt, wir aber hauptsächlich der Aussicht wegen hinkommen. Von oben erkennt man alt und neu der Stadt und wie sie sich entwickelt hat. Eine schöne Melange von Land und Wasser, kunstvoll arrangiert – und das ist wörtlich zu nehmen, da ein Teil der Stadt auf künstlich angelegten Inseln liegt, z.B. „Boca Grande“, wo viele Reiche in Luxushochhäusern logieren – Keko vergleicht diesen Stadtteil gern mit Miami.

Ausblick vom Cerro de la Pope. Cartagena ist eine Reise wert!

Ausblick vom Cerro de la Pope. Cartagena ist eine Reise wert! Kolumbien insgesamt, vor allem aber an den touristischen Orten, wie hier, ist in den letzten Jahren wesentlich sicherer geworden.

Tagsdrauf spaziere ich nochmal nach Boca Grande und laufe am Strand entlang. Ich genieße die Sonne und die warme Luft Kolumbiens, das laue karibische Meerwasser. Bald schon werde ich auf der pazifischen Seite Südamerikas sein, südlich des Äquators, wo bereits der Herbst beginnt. Am 22. März fliege ich nach Lima, Peru. Bogotá, die Hauptstadt Kolumbiens, sehe ich nur vom Flugzeug bzw. Flughafen aus. Nun warten die Anden und weitere Abenteuer auf mich.

Going to Miami – and losing all my luggage…for a while

Am 5. März fliege ich von Montego Bay, Jamaika, nach Fort Lauderdale, Florida. Meine Schwester Elisabeth macht hier vier Wochen Urlaub mit Mann Matthias und elfmonatigem Baby Samuel. Sie holen mich am Flughafen ab und wir fahren nach South Miami, wo sie ein AirBnB gemietet haben, mit Pool und Hot Tub. Wir grillen im Garten und machen leckere Home-made-hamburgers. Da das Zimmer, das sie bewohnen, ultraklein ist, der Mietwagen dagegen, den sie zur Verfügung haben, ein Chrysler „Town&Country“ Minivan, aber sehr geräumig ist, polstere ich zur Nachtruhe den Laderaum mit ein paar Sofakissen und mache es mir im Schlafsack gemütlich.

Links der Chrysler "Town&Country", mein Nachtlager, rechts ein Karmann Ghia, der leider nur als Deko herumsteht und nicht mehr fahrbereit ist.

Links der Chrysler „Town&Country“, mein Nachtlager, rechts ein Karmann Ghia, der leider nur als Deko herumsteht und nicht mehr fahrbereit ist.

Es ist seelenruhig und friedlich in der Nachbarschaft und ich schlafe recht gut. Bis am frühen Morgen meine Schwester den Frühaufsteher Samuel vorbeibringt und der Van nun als Laufstall dient, womit meine Nachtruhe abgeschlossen ist. Der Kleine ist so gut aufgelegt, ich kann ihm diesen Angriff auf meinen Gesundheitsschlaf kaum übel nehmen. Nach ausgedehntem Frühstück und kurzem Bad im Pool nehmen wir Kurs auf die Innenstadt und landen im hippen „Little Havana“, wo Künstler mehrere Strassenzüge mit Galerien und Streetart aufgewertet haben, so dass auch angesagte Cafes und Restaurant auf den Zug aufgesprungen sind. Wir spazieren herum, trinken Eiskaffee, essen zu Mittag und geniessen das Flair.

Hier gibts viel Graffiti zu sehen..

Hier gibts viel Graffiti zu sehen..

Später fahren wir nach Süden auf das „Key Biscayne“, wo wir einen schönen Strand finden, mit sehr flachem und warmem Wasser, was als Babybad bestens geeignet ist. Wir spielen Frisbee und fühlen uns wie im „Springbreak“, den die Studenten jährlich an Orten wie diesen anhalten, mit dem Unterschied, dass sie sich zahlreich betrinken und häufig andere „riskante“ Aktivitäten betreiben, um das vereinfacht zu beschreiben.

Auch ein Fan von "riskantem Verhalten", mein Neffe Samuel;-)

Auch ein Fan von „riskantem Verhalten“, mein Neffe Samuel;-)

Zurück im AirBnB steht das nächste BBQ an: es ist noch viel Rind- und Bison-Fleisch von gestern übrig geblieben, was aufgebraucht werden soll. Am 7. März packen wir zusammen und fahren durch die Everglades-Sümpfe, wo wir die berühmten „Airboats“ sehen, das sind die mit großem Luftpropelloren ausgerüsteten flachen Boote, mit denen man durch die Sümpfe jagen kann. Gelangen nach Naples an der Westseite Floridas, einer hübschen Kleinstadt, in der die Reichen und Rentner sich breit gemacht haben. Die 5th Avenue steht mit ihrer Auswahl an Boutiquen und Restaurants selbst einem St. Tropez nur wenig nach. Wir staunen über Eiswaffeln für 8 Dollar (zwei Kugeln), gönnen uns aber zur Feier des Tages ein sehr gutes Lunch im Seafood-Restaurant „The Dock“, mit Blick auf den Yachthafen. Das Essen ist sein Geld wert, und auch die House-Margaritas, die wir uns genehmigen. Nach Zwischenstopp am schönen Strand und belebter Pier, unter der ein Delphin seine Kreise zieht, fahren wir weiter nach Norden Richtung Sarasota, wo meine Schwester ein ganzes „Townhouse“ gemietet hat. Diesmal kann ich auf dem Sofa schlafen, erhalte quasi ein „Upgrade“! Zu der „Gated Community“, in der dieses Reihenhaus unmittelbar neben einem Golfplatz steht, gehört ebenfalls ein Pool und ein Hot tub. Wir nutzen beides und besichtigen die Innenstadt, wo sich wiederum viele betuchte und betagtere Menschen tummeln. Es gibt eine „Luxury Expo“, ein kommerzielles Strassenfest für Reiche, wo unter anderem Porsche und Mini-Hovercrafts angeboten werden. Die Gegend ist, wie Naples, voll mit Traumhäusern, viele davon am Wasser gelegen, mit eigenen Anlegestellen, wo teure Motoryachten festgemacht sind. In den Strassen parken, wie selbstverständlich: Rolls Royce, Porsche, Ferraris, McLaren, Maybach und andere Luxusmarken.

In dieser Gegend sieht man nicht viel Armut..und meist ältere Semester.

In dieser Gegend sieht man nicht viel Armut..und meist ältere Semester.

Wir kaufen bei „Wholefoods“ einer großen US-Supermarktkette für Bioprodukte und zahlen 200 Dollar für ein paar Lebensmittel, die nicht mal den Wagen füllen. Selbst eine Packung Öko-Klopapier kostet 10 Dollar plus. Immerhin sind die Produkte durchweg hochwertig. Wir kochen in der Wohnung, machen die Mehrausgaben durch Einsparung von Restaurantbesuchen wett: selbstgemachte Pizza, Fischgerichte, Hähnchencurry etc. Bereiten Sandwiches mit leckeren Sauerteig-Brot und „Brat Hans“ genannten Würstchen zu, die selbst mit einem deutschen Gourmet-Bratwürstchen mithalten können. Trinken mexikanisches Corona-Bier dazu, in der „Lightversion“ mit nur 99 Kalorien pro Flasche. Gar nicht mal untrinkbar, zumindest als Sommergetränk. Amerika bietet inzwischen eine Vielzahl guter Biere von kleineren „Micro Brewerys“, die fast in allen Landesteilen wie Unkraut aus dem Boden schießen. Ich mag besonders die „IPAs“- Indian Pale Ales – mit hohem Hopfenanteil. Die Nächte werden häufig von Samuels Schreien unterbrochen und verkürzt, da er sein Jetlag noch nicht überwunden hat. Wir wechseln uns ab mit Babydiensten, damit jeder etwas Schlaf nachholen kann. Als Lisi und Matthias zu einem Baseball Spiel von den Yankees gehen, die hier ihr Wintertraining absolvieren, passe ich auf Klein-Sam auf und „baue“ ihm aus der großen Kühlbox, die wir für Strandbesuche gekauft haben, kurzerhand ein Planschbecken. Er findet das cool – und pinkelt hinein.

Sam probiert sein erstes eigenes Babyplanschbecken aus: dass es eigentlich eine Kühlbox ist, is ihm "pipi-egal"!

Sam probiert sein erstes eigenes Babyplanschbecken aus: dass es eigentlich eine Kühlbox ist, is ihm „pipi-egal“!

Erst in diesen Tagen buche ich alle restlichen Flüge, die ich für Südamerika benötige und bekomme sogar noch recht gute Angebote. Meine verbleibende Reiseroute führt mich nach: Kolumbien, Peru, Bolivien, Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilen. Mitte Mai zurück nach Deutschland.

Am Morgen des 12. März besteige ich den Greyhound Bus nach Miami und entspanne die ersten 4 Stunden der siebenstündigen Reise mit Musik über meinen neu in Jamaika gekauften „Marley“-Kopfhörer. Als der Bus zwischenhält und wir fünf Minuten Pinkelpause machen, wage ich den Spurt zum 100 Meter entfernt gelegenem „Subway“-Restaurant. Ich habe zu hoch gepokert – als ich Minuten später mit einem Sub durch die Tür ins Freie trete, fährt der Bus gerade ohne mich los! Was für eine Sch..! Adrenalin schießt in meine Blutbahn. Im Bus ist mein gesamtes Gepäck samt Laptop, Kamera, etc. Ich laufe los, ohne Chance, den Bus noch zu erreichen. Ich quere die Strasse und laufe zu einigen Autos, die an der Ampel stehen, doch die meisten öffnen nicht mal die Scheiben. Die Fahrer, die ich ansprechen kann, sagen: „not my way“, keiner will helfen. Ich laufe die Strasse weiter hinter dem Bus hinterher. Strecke den Daumen raus, versuche per Anhalter hinterher zu kommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hält ein spanisch-sprechendes Pärchen. Sie nehmen mich mit, allerdings in eine Richtung, die der Bus anscheinend kurz vorher bereits verlassen hat, um auf den Freeway abzubiegen. Sie sprechen mir gut zu, sagen mir, dass sie mich zur nächsten Bushaltestelle bringen. Dort springe ich raus und laufe zum nächsten Bus, der allerdings nur bis zum Busdepot fährt.

Nun brauche ich wirklich fremde Hilfe! In dieser Situation kann mir nur EINE Person helfen: Teri. Sie wohnt in Miami und wollte mich bei Ankunft in Miami Nord vom Bus abholen. Ihre Bekanntschaft habe ich erst wenige Tage zuvor gemacht: eine befreundete Seglerin, die ich in Jamaika kennengelernt habe, hatte den Kontakt hergestellt. In dieser Situation ist Teri mein Telefonjoker. Ich rufe sie an: „Teri, I’ve got a bit of a problem, can you help me…?“ Ich bitte sie, die Zentrale von Greyhound zu kontaktieren, um mein Gepäck sicherzustellen, bevor es gestohlen wird – mein kleiner Rucksack samt Laptop und Kamera liegt am Boden meines Sitzes, auf dem Sitz weitere Dinge. Teri ist ein guter Telefonjoker: sie findet in Windeseile die Telefon-Nr. der Station in North Miami heraus, wo ich den Bus verlassen wollte. Leider bekommt sie vom zuständigen Mitarbeiter wenig Trost: „The Laptop will probably be gone. Not much we can do.“ Währenddessen stehe ich am Busdepot und warte auf den nächsten Bus Richtung West Palm Beach, von wo ich einen Zug, den „Tri-Rail“ nach Miami bekommen kann. Der nächste Bus kommt in einer halben Stunde. Ich versuche ruhig zu bleiben, klaren Kopf zu bewahren. Texte und telefoniere hin und her mit Teri. Glück im Unglück: Ich habe bei mir: mein Portemonnaie, meinen Pass und mein Handy, das auch noch genug Akkuladung und Prepaid-Guthaben hat! Ich gebe Teri die laufende Nr., welche an meinem Gepäckstück im Kofferraum des Busses angebracht ist, durch, auch diesen Zettel habe ich glücklicherweise. Teri ist zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig hoffnungsvoll, dass mein Handgepäck bei Ankunft in Miami noch vollständig ist. Wahrscheinlich will sie auch meine Erwartungshaltung dämpfen, damit ich später nicht zu sehr enttäuscht bin. Den günstigen Greyhound Bus nehmen meist die Menschen, die über wenig Geld verfügen. Jemand im Bus könnte durchaus auf ein paar Wertsachen aus sein..

Teris Versuch, die Telefonnummer des Busfahrers zu bekommen, bleibt erfolglos. „No way to reach the bus“, lautet die Auskunft. Man bietet ihr an, mir ihr den Bus an der Station abzupassen und gemeinsam mit einem Mitarbeiter die Dinge, die noch da sind, sicherzustellen. Ich durchlebe sorgenvolle Momente: auf dem Laptop sind alle Bilder meiner gesamten Reise und ich habe keine Sicherungskopie! Teri verspricht mir, rechtzeitig vor dem Bus da zu sein und alles zu tun, was in ihrer Macht steht. Ich gebe ihr per SMS eine genaue Beschreibung aller meiner Gepäckstücke und anderen Dinge durch. Der Bus kommt planmäßig um 16:25 Uhr in North Miami an. Davor sind noch 2 oder 3 Stationen, wo theoretisch jemand den Bus mit meinen Sachen verlassen haben könnte. Ich bereite mich mental darauf vor, dass etwas fehlen wird. Ich hoffe, es ist nicht der Laptop. Wenigstens war er verstaut und lag nicht offen auf dem Sitz. Aber etwas in mir gibt mir trotzdem Hoffnung: Die meisten Menschen sind keine Diebe. Ich denke sogar, nur ein kleiner Prozentsatz würde tatsächlich etwas nehmen, selbst wenn sie es gebrauchen könnten. Das ist eine Erfahrung, die ich in vielen Ländern der Welt gemacht habe. Selbst in Ländern, in denen man viel angebettelt oder sonstwie „belämmert“ wird. Stehlen tun die wenigsten. Sei es aus Anstand, Selbstachtung, aus religiösen Motiven oder auch aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und mitunter drastischen Strafen. Dennoch sollte man keinen Menschen in Versuchung führen! Und ich bin Realist genug: ich weiß, dass Dinge schiefgehen können. So wie jetzt gerade. Aber sie können auch unfassbar gut ausgehen. Nach bangen Minuten erhalte ich den ersehnten Anruf von Teri. Mein Handyguthaben reicht nun noch für wenige Minuten – nur am Rande: trotz amerikanischer Handykarte zahle ich hier auch für angenommene Anrufe. Sie erlöst mich: „Niko – everything is here! You are so incredibly lucky, do you know that?!“ Die Greyhound Mitarbeiter erlauben ihr nicht, die Sachen an sich zu nehmen. Da könnte ja jeder kommen. Aber sie darf die Sachen fotografieren – und dann später mit mir zusammen abholen. Die Station ist bis 23 Uhr geöffnet. Inzwischen habe ich mittels drei lokaler Busse den Tri-Rail-Bahnhof erreicht. Der nächste Zug kommt in wenigen Minuten. Ich löse mein Ticket und spendiere aus lauter Dankbarkeit einem Handwerker am Gleis ein kühles Soda-Getränk aus dem Automaten. Life can be good. Ich gelange „nur“ zwei Stunden nach meiner ursprünglich geplanten Ankunftszeit zur Station North Miami, wo Teri mich erwartet und zur Greyhound-Station nebenan bringt. Der Mitarbeiter schaut mich mit hochgezogener Augenbraue an: „So you’re the guy?!“ Ich gebe zu: „Yes, I am the silly Person, that left the bus..“ Er händigt mir alles anstandslos aus. Sogar ohne Ticket oder irgendwas vorzuzeigen. Teri regt sich auf: “And they wouldn’t give it to me!” Ende gut, alles gut. Nochmal Schwein gehabt. Ich schaue nach: Laptop da, alles da.

Teri bringt mich zu ihrer Wohnung, wo ich das Gästezimmer beziehe und eine erfrischende Dusche nehme nach dem ganzen Gerenne und Stress bei knapp 30 Grad. Wir gehen was essen und leeren eine Flasche Rotwein. Bereits am nächsten Morgen, dem 13. März, ein Freitag übrigens, fliege ich nach Kolumbien. Mein allererster Besuch des südamerikanischen Kontinentes. Ich denke, der heutige Tag war eine gute Lektion, ab jetzt noch besser aufzupassen…

Kingston town – the place I long to be

Jamaika, das ist Sehnsuchtsort vieler Westeuropäer, das Land der Rastas, des Reggae, der Sorglosigkeit und vielerlei Dinge mehr. Ehemalige Kolonie der Spanier und der Engländer, deren Erbe an vielerorts sichtbar bleibt. Von hier aus operierten im 17. Jahrhundert ganze Piratenverbände, sogar mit Unterstützung seitens der englischen Besatzer. Als die Spanier vor der Übermacht der Engländer weichen mussten, entließen sie aus Rache eine Mehrzahl von Sklaven in die Freiheit, welche die Engländer erfolgreich in ihren Herrschaftsansprüchen bekämpften und schließlich sogar Friedensverhandlungen und –vereinbarungen bewirkten.

In Port Antonio in Nordosten der kleinen Insel setzen wir Fuß an Land. Es ist eine der weniger touristisch erschlossenen, aber umso reizvolleren Region der vergleichsweise kleinen karibischen Insel. Wir benötigen wiederum mehrere Stunden für die Prozeduren der Immigration und für die Besuche des Quarantäneamtes und der Polizei.

Die Marina ist schön gelegen in einer großen, saftig grünen Umgebung.

Die Marina „Erol Flynn“ ist schön eingebettet in einer großen Bucht mit „saftig“ grüner Umgebung.

Die idyllisch gelegene „Erol Flynn“ Marina hat zwar ihre allerbesten oder auch „ruhmreichen“ Zeiten hinter sich, mit Besuchen von Weltstars etc., ist aber dennoch noch in gutem Zustand und für uns ein sicherer Hafen. Hafenmeister Larry erklärt uns die örtlichen Gegebenheiten und warnt uns davor, zu schnell Freundschaft mit den vor dem Tor herumlungernden Gestalten zu schließen, die meist für jegliche Art der „Hilfestellung“ oder Vermittlung von Diensten etc. ein Trinkgeld erwarten. Wir besichtigen den Ort, der überschaubar, aber nicht ganz uninteressant ist, mit zwei großen Buchten und einigen Bars, Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.

Nachdem wir in Haiti weitgehend alle Reserven aufgebraucht haben, müssen wir nun dringend Lebensmittel einkaufen. Ich mache einen schnellen Einkauf für das Notwendigste. Die Auswahl an Produkten ist nicht schlecht aber doch eingeschränkt. Makrele in Tomatensauce gibt es dafür von diversen Herstellern in Hülle und Fülle. Die einzige angebotene Butter der Marke „Anchor“, die aus Neuseeländischem Import stammt, kostet ein Vermögen, circa das Drei- bis Vierfache des „normalen“ Preises – gleiches gilt für andere Molkereiprodukte, Käse, Milch, etc.

Von Port Antonio aus erkunden wir die Gegend, wir besteigen oder auch durchschwimmen die „Reach“-Wasserfälle, ein Erlebnis der besonderen Art, das ich jedem empfehlen kann. Um dorthin zu kommen nimmt man die sogenannten „Route-Taxis“, das sind PKW oder Minivans, die standardmäßig mit vier Personen pro Sitzreihe aufgefüllt werden und die wie Linienbusse bestimmte Strecken abfahren. In den Vans können gerne auch mal 20 Personen mitreisen. Dabei haben die Route Taxen den Vorteil, dass man entlang der Strecke im Prinzip überall anhalten kann, sofern sie noch Platz haben. Zudem sind sie unvergleichlich günstig. Für rund zwei US-Dollar kann man schon mal 40 Kilometer weit fahren. In der Regel kann man recht laute Musik auf der Fahrt erwarten, viel Reggae, aber auch „Schnulzen“, zu unserer Verwunderung: Lionel Richie, George Michael etc. Manche Taxen schnallen die Boxen einfach aufs Dach, aus Platzgründen und weil die Akustik dann auf der Strasse noch besser ist!

Hier fühlt man sich wie Tarzan in seinem zuhause: Niko beim Kopfsprung in ein tiefes Becken der "Reach-Falls".

Hier fühlt man sich wie Tarzan in seinem Element: Niko beim Kopfsprung in ein tiefes Becken der „Reach-Falls“.

Rund um Port Antonio gibt es weitere schöne Natursehenswürdigkeiten: Strände, Flüße etc. Auch die berühmten „Blue Mountains“ sind nicht weit entfernt und bei klarem Wetter kann man die Bergspitzen in der Ferne sehen. Häufig genug sind diese aber von Wolken umhangen, in diesem höchst schwülen Klima mit bis zu 100 Prozent Luftfeuchtigkeit. Wir verschieben den Ausflug in die Berge auf unseren Aufenthalt in Kingston, der Hauptstadt von Jamaika, da sie von dort aus leichter erreichbar sind. Ganz in unserer Nähe ist auch die aus dem Film mit Brooke Shields bekannte „Blue Lagoon“. Als wir dort ankommen, sind wir leicht enttäuscht von dem heruntergekommenen Zustand der Lagunenquelle bzw. ihrer Umgebung. Da man hier (noch) keinen Eintritt zahlt, sind Beschwerden jedoch nicht angebracht.

Hier wurde ein Teil des 1980 im Kino erschienene Films "The Blue Lagoon" gedreht.

Hier wurde ein Teil des 1980 im Kino erschienenen Films „The Blue Lagoon“ gedreht.

Nach einer Woche segeln wir weiter: ein Stück zurück Richtung Osten und dann um die Ostseite Jamaikas herum nach Süden. Wir legen in der Bucht Port Morant an einer Mooringball an, wo wir als einziges Boot präsent sind und zwei Nächte verbringen. Hier gibt es in unmittelbarer Umgebung nicht viel zu sehen und tun, außer der Austern-Farm nebenan, bei der wir zum Mittagessen vier Dutzend Austern für rund 8 Dollar bestellen. Als wir sie abholen, stellen wir fest, dass sie doch sehr klein sind, schmecken tun sie uns aber doch.

Wir segeln weiter nach Port Royal, das ist die Spitze der Landzunge, die den Hafen von Kingston umschließt. Die Hauptstadt selbst hat unter Einheimischen wie Reisenden nicht den besten Ruf. Da die Marina jedoch recht weit von der Innenstadt liegt, hoffen wir hier relativ sicher zu sein. Unser Versuch, in der „Marina Port Royal“ unterzukommen, scheitert: das Dock befindet sich in der Restaurierung und sie können kein weiteres Boot aufnehmen. Wir sollen es nebenan versuchen. Die Bar „Yknot“ hat auch eine Bootspier. Tatsächlich machen sie uns dort eine Anlegestelle frei und wollen nur 10 US-Dollar pro Nacht haben. Das ist äußert günstig! Es gibt ein (sehr einfache) Dusche, nachts paßt ein Nachtwächter auf. Wir sinds zufrieden. Selbst unser Skipper Reinhard, der sein Boot kaum eine Nacht alleine läßt, fühlt sich hier sicher genug, so dass wir für eine Nacht in die „Blue Mountains“ gehen können.

Der Blick von Port Royal aus nach Kingston. Im Hintergrund die Blue Mountains.

Der Blick von Port Royal aus nach Kingston. Im Hintergrund die Blue Mountains.

Wir erkundigen uns nach den Reisemöglichkeiten und nehmen zunächst öffentliche Busse, dann Route-Taxen und zuletzt auch einen gecharterten alten Landrover „Defender“, wie sie hier – so wie auch in Afrika – noch viel herumfahren. Sind einfach äußerst robuste Geländewagen. Die letzten Kilometer zu unserer Lodge sind abenteuerlich steil – wir stehen hinten auf der Ladefläche, halten uns an dem Rahmen fest und genießen die Achterbahn.

Von links: Lavonne, Skipper Reinhard, ich und Judy auf der Ladefläche des "Defender", der uns in rund 1.500 Meter Höhe bringt.

Von links: Lavonne, Skipper Reinhard, ich und Judy auf der Ladefläche des „Defender“, der uns in rund 1.500 Meter Höhe bringt.

An der „Whitfield Hall Lodge“ angekommen, finden wir uns inmitten eines Eukalyptuswaldes, der vor über 200 Jahren von den damaligen Plantagenbesitzern angepflanzt wurde. Rings um uns herum wachsen Kaffeepflanzen. Hier kommt der begehrte „Blue Mountain Coffee“ her. Gleich wird uns eine Tasse gemacht. Ein Hochgenuß!

Ein friedlicher Ort, der Erholung pur  und "hausgemachten" Kaffee bietet: die Whitehall Lodge.

Ein friedlicher Ort, der Erholung pur und „hausgemachten“ Kaffee bietet: die Whitfield Hall Lodge.

Das Abendessen schmeckt ebenso hervorragend, eigens für uns wird ein großes Kaminfeuer angefacht. Der Besitzer der Lodge ist gebürtiger Jamaikaner, britischer Abstammung. Schon seine Eltern haben die Lodge als Guesthouse bewirtschaftet, doch niemals erwerben können. Er habe diesen Lebenstraum dann später umgesetzt. Wir hören spannende Episoden dieses 77-jährigen Mannes, der in England studiert und die Welt gesehen hat, jedoch seine Heimat und den Kaffeeanbau liebt. Wir gehen früh schlafen. Um 2.30 Uhr morgens geht der Wecker: wir wollen zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel sein. Mit Taschenlampen suchen wir den Pfad und steigen langsam – dabei muss man sich sehr zusammenreissen, um sich nicht zu überanstrengen und dabei zu sehr durchzuschwitzen – die 3,5 Stunden bis zum Gipfel, durch vom Nebel triefennasse Regenwald-Vegetation. Obwohl wir kurz vorm Gipfel klare Sicht haben, haben wir ganz oben, in 2.256 Metern Höhe, Pech. Am Gipfel angekommen umhüllt uns dichter Nebel. Die Sonne geht auf, aber wir können sie nicht sehen. Dafür windet es stark und wir beginnen zu frieren. Fast verpassen wir im Nebel auch noch das Gipfeldreieck, die Markierung für den höchsten Punkt Jamaikas.

Etwas erschöpft und enttäuscht, keinen Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben, aber doch froh, es geschafft zu haben...

Etwas erschöpft und enttäuscht, keinen Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben, aber doch froh, es geschafft zu haben…

Hier machen wir Fotos, wenigstens ein Beleg für unseren Aufstieg. Dann steigen wir wieder ab, hoffen auf baldige Sicht und Sonne, die sich aber erst auf halbem Wege abwärts zeigt. Den Rest haben wir dann einige schöne Aussichten und genießen die unglaublich reichhaltige Planzenwelt. Wir pflücken gelbe, leckere Himbeeren: Cheeseberries nennt man sie hier.

Obwohl ich schon einige Berge gesehen habe, die Blue Mountains sind besonders schön!

Auch wenn ich schon einige Berge gesehen habe, die Blue Mountains sind besonders schön!

Zurück in der Lodge duschen wir, es gibt nur kaltes Wasser und auch keinen Strom, aber das macht nichts. Machen nach einem kleinen Frühstück erstmal ein Nickerchen. Dann bringt uns der „Defender“ wieder runter ins Tal. Wir steigen in die öffentlichen Nahverkehrsmittel um und fahren zurück zum Boot.

In Kingston selbst machen wir nur einige Besorgungen. Außer einem „Bob Marley Museum“ scheint es nicht viel an Sehenswürdigkeiten zu geben. Trotzdem lebte dieser, seinen Liedern nach, wohl gerne hier, auch wenn er einmal in seinem Wohnhaus angeschossen wurde. Das Blut an der Wand kann man noch heute sehen. Reinhard muss das Dinghy reparieren und eine neue Außerborderschraube besorgen. Wir besichtigen die historischen Forts von Port Royal. Meine Zeit in Jamaika und auf der Runaway neigt sich dem Ende zu. Am 4. März nehme ich Abschied von Boot, Besatzung und Skipper und nehme in Kingston einen Bus nach Montego Bay, auf der nordwestlichen Seite der Insel. Nach rund fünf Stunden erreiche ich den Ort und auch meine Unterkunft für die Nacht. Am späten Vormittag des 5. März fliege ich nach Fort Lauderdale, Florida. Dort macht meine Schwester Lisi mit ihrem Mann Matthias und dem gemeinsamen elfmonatigem Sohnemann Samuel Urlaub. Ich will sie eine Woche lang besuchen und dann Richtung Südamerika fliegen. Das geht von Florida aus viel günstiger, als von der Karibik. Bye bye Jamaica, I will perhaps return sometime…

Tanker on Collision course

In Barahona verlässt Frank die RUNAWAY und Gordana und Santiago kommen an Bord. Dies ist der letzte Hafen, in dem wir ein offizielles Despacho für die Ausreise in internationale Gewässer bekommen können und daher muss die Crewliste nun auch genau die Personen aufführen, die tatsächlich mit der RUNAWAY die Dominikanische Republik verlassen. Dies werden wir zwar erst in einigen Tagen tun, da wir noch die Isla Beata und die Bahia de las Aguilas anfahren wollen, aber damit wir nicht wieder zurück fahren müssen, besorgen wir unser Despacho schon jetzt.

Abendliche Industrienostalgie in Barahona

Abendliche Industrienostalgie im Hafen von  Barahona

Wir nehmen Proviant auf: Wasser, Milch, Säfte, Cola, Bier, Wein, Rum, Brot, Butter, Butter, Salami, Käse, Mangos, Tomaten, Paprika, Bohnen, frisches Fleisch, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Konserven, Kekse, Chips etc. Der Einkauf kostet 200 Dollar, das Trinkwasser für den Bootstank und die Kraftstoffe für die Bootsmotoren sowie den Außenborder kommen extra. Mit diesen Vorräten hoffen wir für die nächsten Stationen gut vorgesorgt zu haben, da wir nicht wissen, wie gut man an diesen teils entlegenen Inseln und Stränden einkaufen kann. Dennoch wollen wir unterwegs versuchen, zu fischen bzw. von Einheimischen Fisch, Obst etc. kaufen zu können. Unsere Wäsche haben wir in einer Wäscherei abgegeben, deren Besitzer uns zugesagt hat, diese bis zum kommenden Morgen um 7 Uhr fertig zu haben, da wir frühmorgens loswollen, um die Isla Beata möglichst noch im Tageslicht zu erreichen. Wir lassen uns mehrfach versichern, dass dies auch klappt, da wir unser Despacho für 8 Uhr ausstellen lassen. Die „Armada“ wacht scharf darüber, ob man auch wirklich die Zeiten einhält und wer ein- und ausfährt. Am Morgen des 4. Februar stehen Reinhard und ich um 6.30 Uhr auf und nehmen das Dinghy, um zu Wäscherei zu fahren. Und tatsächlich, draussen vor der Tür wartet Pio, der sich stolz als „Americano“ bezeichnet, mit zwei Wäschesäcken. Bevor wir ablegen können, durchsucht die Armada noch einmal mit zwei Uniformierten unser Boot.

Alltag für Segler in der Dominikanischen Republik: die Armada kommt an Bord und schaut nach dem Rechten.

Alltag für Segler in der Dominikanischen Republik: die Armada kommt an Bord und schaut nach dem Rechten.

Wir erhalten unser Despacho für internationale Gewässer, zahlen zwanzig Dollar dafür, zehn mussten wir pro Person bereits gestern für den Ausreisestempel berappen, und lichten den Anker. Zunächst haben wir kaum Wind, aber je mehr wir aus der Bucht von Barahona kommen, umso mehr füllen sich unsere Segel, so dass wir bald wieder ordentliche Fahrt aufnehmen und dann auch viel früher, als erwartet, noch vor Sonnenuntergang die Isla Beata erreichen, eine abgelegene Insel am südlichsten Zipfel der Dominikanischen Republik. Schon vom Boot aus sieht es hier wunderbar idyllisch aus – und glücklicherweise ist weit und breit keine Plastikstrandliege zu sehen, wie auf der Isla Catalina, nur wirklich primitive Fischerhütten aus Wellblech und Holz, Palmen und Felsen. Wir haben gehört, dass hier Iguanas zu finden sind und die Langusten sich im Überfluss im Wasser tummeln. Am nächsten Morgen besichtigen wir den Strand und treffen auf die einheimischen Fischer. Das ganze Dörfchen ist voller zahmer Iguane, die sich zum Teil füttern lassen und träge in der Sonne faulenzen. Die Insel ist größtenteils recht schroff und daher ein guter Lebensort für sie.

Iguane leben hier in friedlicher Eintracht mit den Fischern und deren Haustieren.

Iguane leben hier in friedlicher Eintracht mit den Fischern und deren Haustieren.

Wir erkunden das Gebiet hinter den Fischerhütten und finden Reste von betonierten Gebäuden, die zu einem Gefängnis gehörten, das hier zu Zeiten der Diktatur stand und in dem politische Gegner gepeinigt wurden, und wohl auch zu Tode kamen. Einem Fischer zufolge wurden einige von ihnen auf der Insel verscharrt. Anmerkung: Das kubanische Guantanamo liegt nicht weit von hier… Am Abend grillen wir Langusten am Strand. Wir haben den Fischern eine ordentliche Menge abgekauft und sie helfen uns bei der Zubereitung: die Languste wird auf ein Brett gelegt, dann hält einer eine Machete längs über den Rücken, auf die ein anderer mit einem Knüppel schlägt, um die Languste der Länge nach zu teilen. Man reibt das Fleisch mit Butter und Knoblauch ein und legt das Tier dann auf den Grill, bis es gar ist. Wir genießen die leckere Delikatesse in einmaliger Szenerie, am Lagerfeuer eines karibischen Inselstrandes. Der Wind ist lau. Wir haben Getränke in der Kühlbox und teilen Rum und Wein mit den Fischern. Zufrieden und satt laufen wir nachts bei hellem Mondschein unter den Palmen zurück zum Schlauchboot und setzen zur RUNAWAY über, um schlafen zu gehen. Am Morgen des 6. Februar segeln wir Richtung Westen weiter, zur Bucht Bahia de las Aguilas, die Gordana und Santiago bereits kennen, da sie in dieser Gegend wochenlang campierten. Bereits vom Wasser aus ist es traumhaft. Ein endloser halbkreisförmiger Strand, türkisblaues Wasser und kaum eine Menschenseele. Das Gebiet gehört zu einem Naturschutzpark.

Vielleicht einer der schönsten, abgelegenen, aber doch erreichbaren Strände der Welt.

Vielleicht einer der schönsten, abgelegenen, aber doch erreichbaren Strände der Welt.

Wir ankern unweit vom Strand und gehen schnorcheln. Trotz Abgelegenheit scheinen uns nicht so viele Fische zugegen zu sein. Dagegen finden wir viele Fischreusen. Möglicherweise wird die Bucht überfischt. Viele Menschen leben hier vom Fischfang, es herrscht ein harter Konkurenzkampf um Ressourcen. Was werden sie tun, wenn es nicht mehr genug für alle gibt? Der Tourismus ist in diesem Winkel des Landes, unweit von der Grenze zu Haiti, noch recht unterentwickelt. Für uns kein Nachteil. Die Bucht schillert in paradiesischen Farben. Weit und breit kein anderes Boot. Nur wenige andere Menschen liegen entfernt am Strand. Ich gehe an Land und laufe den sandigen Weg oberhalb des Strandes entlang, barfuß. Hier und da trete ich in kleine stachelige Dornen. Plötzlich fährt mir ein scharfer Stich in die Fußfläche – ich habe mir einen spitzen Stein in den Fuß gerammt. Der Spaziergang nimmt damit ein abruptes Ende und ich humpele zum Strand hinunter, um die Wunde im Salzwasser auszuwaschen. Das brennt. Zurück auf dem Boot wird die Wunde mit Isopropenol behandelt und mit einem großen Pflaster versehen. So geht’s erstmal und glücklicherweise tut auf Auftreten nicht sehr weh. Am nächsten Tag kann ich sogar Gordana und Santiago auf ihrem Fußmarsch zum Dorf begleiten, wo sie einige Bewohner kennen. Wir laufen durch eine sehr trockene, von einem dichten Kakteenwald gesäumte Landschaft, mit „mondgestein“-artigen Felsen, die messerscharf aufragen und das Laufen abseits der Straße unmöglich machen. Hier gibt es Kakteenarten, die sonst nirgends zu finden sind.

Erstaunliche Kakteenformen.

Erstaunliche Kakteenformen.

Im Dorf, dass neben tiefen, höhlenartigen Überhängen liegt, unter denen die Bewohner bis vor Kurzem noch wohnten, bis die Regierung sie aus Naturschutzgründen umgesiedelt hat, stehen wenige Häuser, ein Restaurant mit Schilfdach. Wir besuchen ein paar Dorfbewohner, die in ärmlichen Hütten und zum Teil auch in Zelten wohnen. Sie begrüßen uns herzlich und wollen von Gordana und Santiago wissen, wie lange sie diesmal bleiben. Ich besichtige Strand und Höhlen. Kaufe im Restaurant eine Portion „Tostones“, das sind frittierte Plantanen, die hier überall, so wie bei uns Pommes Frites, verkauft werden und als günstige Beilage gereicht werden. Wir machen uns auf den Rückweg zum Boot und essen dort die Tostones als Aperitif zum Sundowner.

Pure Idylle im staubtrockenen Naturschutzgebiet von Bahia de las Aguilas.

Pure Idylle im staubtrockenen Naturschutzgebiet der Bahia de las Aguilas.

In warmroten Farben verabschiedet sich die Sonne auf der Meeresoberfläche. Am nächsten Morgen hat nicht weit von uns ein anderer Katamaran geankert. Reinhard fährt mit dem Dinghy rüber und erfährt von den Amerikanern an Bord, dass sie nach Osten wollen und auch gleich wieder weiterfahren. Sie haben Internet an Bord und so können wir die aktuelle Wettervorhersage erfahren. Unsere nächste Station ist eine Insel südlich von Haiti, Ile a Vache. Das Festland wollen wir nicht unbedingt betreten. Wir haben in den vergangenen Wochen unterschiedliche Infos zu Haiti erhalten. Teils abratend, teils beschwichtigend. Einig ist man sich aber darüber, dass die Ile a Vache ein sicherer Ort für Segler ist und somit für uns ein guter Zwischenhalt auf dem Weg nach Jamaika. Am Morgen des 9. Februar lichten wir den Anker und nehmen Kurs auf Haiti. Es sind gut 120 Seemeilen zurückzulegen, für die wir bei dieser Windlage über 24 Stunden benötigen werden. Wir segeln bei leichtem Wind den Tag hindurch. Dann flaut der Wind ab und wir müssen die Motoren starten. Ich sehe kaum ein anderes Schiff. Wegen einer Regenwolke, die uns von hinten überfliegt und einige Böen mit sich bringt, werde ich kurz geduscht und das Boot nimmt durch sprunghaft an Fahrt zu. Die Genua bleibt stehen, bis der Wind während meiner Nachtwache gegen drei Uhr morgens zu achterlich und schwach ist, weswegen ich die Genua einrolle. Ich muss den Kurs mehrfach nach Norden hin korrigieren, da wir durch Wellengang oder Strömung abdriften. Gegen 5.30 Uhr morgens übernimmt Reinhard wieder das Steuer und ich gehe schlafen. Am späten Vormittag nähern wir uns der Ile a Vache. Sie ist von zahlreichen Riffs geschützt, auf die in der Vergangenheit viele Schiffe und Boote aufgefahren, zerschellt und gesunken sind. Die ganze Umgebung ist ein Schiffsfriedhof, für Taucher und Schnorchelfreunde natürlich ein Paradies! Wir haben mit modernem GPS-Systemen und genauen Karten wenig Probleme, die gefährlichen Untiefen zu umfahren. Dafür müssen wir höllisch aufpassen, nicht in eines der vielen Fischernetze und Reusen zu fahren, die hier gefühlte alle 100 Meter ausgelegt sind. Unsere ausgeworfene Angelleine reißt dann auch abrupt ab: der Haken hat sich in einem Netz verfangen. Damit nicht genug: schlagartig kommen wir quasi zum Stehen. Unser rechtes Ruder sind ebenfalls an einem Netz hängengeblieben. Keine Chance – Reinhard muss ins Wasser und es per Hand von den Netzen befreien. Dann geht’s vorsichtig weiter, wobei wir noch Dutzenden Netzen ausweichen müssen, bis wir die schmale Einfahrt zur Bucht „Port Morgan“ erreichen, wobei nun ein unerbittlicher Platzregen einsetzt. Dessen ungeachtet nähern sich nun aus allen Richtungen Einheimische in vielerlei Booten, nicht wenige in sogenannten „Dugouts“, ausgehöhlten Baumstämmen, um uns zu begrüßen und uns im gleichen Atemzug ihren Namen zu nennen und ihre Dienste anzubieten. Wir geraten angesichts der vielen, uns von allen Seiten gleichzeitig ansprechenden Menschen, die sich auch noch an der RUNAWAY festhalten, während wir eigentlich versuchen, unser Ankermanöver durchzuführen, etwas in Bedrängnis. Als wir aber von einem anderen Segler ermutigt werden, uns an eine der freien Mooring-Bälle festzumachen, nehmen wir dies erleichtert in Anspruch und haben dann auch Zeit, uns den Einheimischen zuzuwenden. Für den Moment haben wir keinen Bedarf, aber wir schreiben uns einige ihrer Nummern auf, um sie anrufen zu können, falls wir irgendetwas benötigen. Dessen ungeachetet werden in den kommenden Tagen noch Dutzende Anbieter von Fisch, Langusten, Obst, Wäschereidiensten, etc. vorbeikommen und uns auch leicht „auf den Wecker gehen“. Dennoch versuchen wir alle mit Respekt zu behandeln und auch hier und da etwas zu kaufen bzw. etwas zu geben. Immerhin sind wir nun in Haiti, einem der wirklich armen Ländern der Welt, was sich nach der großen Erdbebenkatastrophe von 2009 in der Hauptstadt von Port-Au-Prince noch extrem verschärft hatte und eine weltweite Hilfsaktion in Gang setzte, die allerdings sehr schleppend anlief und vieles Leid nicht verhindern bzw. beseitigen konnte. Wir können nicht allen Menschen helfen, aber hier und da schon. Schwierig wird es bei den Kinder, die häufig um „Schulgeld“ bitten, das sie wohl auch tatsächlich brauchen. Allerdings treten sie meist in Gruppen auf und wenn einer was bekommt, will auch der andere etwas und sobald sich herumspricht, dass es etwas gibt, kommen noch mehr. Ein Dilemma. Als der Regen aufgehört hat und wir trockene Sachen anhaben, können wir die Schönheit der Bucht genießen. Sie ist von hohen Hügeln überragt, auf denen die Kühe, von denen die Insel ihren Namen hat, grasen. Über Palmen und dann auch gleich hinter uns das Hotelressort „Port Morgan“, das mit einzelnen weißgetünchten Hütten sehr ansprechend aussieht. Wir gehen an Land und besichtigen das Dorf. Durch den Regen sind die Wege aufgeweicht, keine einzige geteerte Strasse und entsprechend auch keine Autos. Überall bescheidene, aber durchaus ansprechend bunte Hütten. Was uns erstaunt: überall sind moderne Solar-Strassenlaternen aufgestellt. Ein Projekt der Regierung, die Insel attraktiver für den Tourismus zu machen. Viele Bewohner kommen auf uns zu und begrüßen uns, erneut werden Dienste angeboten. Man führt uns über den Dorfplatz, dann zu einen Bäckerei, in der gerade gebacken wird. Wir kaufen sofort zwei Beutel frische Baguettes. Dann gehen wir zum Boot zurück, für heute reicht es. Am nächsten Tag erkunden wir weitere Teile der Umgebung, laufen über matschige Wege zu einem schönen Strand, an dem ein gehobenes Hotelressort liegt.

Auf dem Steg des nahegelegenen Hotelresorts..

Auf dem Steg des nahegelegenen Hotelresorts..

Da die Sonne langsam untergeht und die Mücken rauskommen, müssen wir uns beeilen, zurückzukommen. Wir kaufen wieder ein paar Langusten von einem Fischer, der zu unserem Boot kommt und braten sie in der Pfanne. Es gibt kein richtiges Geschäft auf der Insel, nur ein Getränkeladen, die Bäckerei, einige Bars und sogenannte Restaurants, die meist bei jemandem Zuhause auf Bestellung eröffnet werden. Viele wollen für uns kochen. Wir müssen viele vertrösten. Nicht einfach, ein westlicher Tourist in einem solchen Land zu sein. Dazu kommt, dass wir alle kaum Französisch sprechen und viele hier kein Englisch, geschweige denn Deutsch. Ab und an kann jemand Spanisch. Viele scheinen auch Analphabeten zu sein. Wir merken ganz konkret, wie Bildungstand und Wohlstand eines Landes unmittelbar miteinander verknüpft sind. Dass die Regierung in Haiti in den letzten Jahrzehnten nicht sehr stabil und vorausplanend war und die vielen Katastrophen, die das Land wie ein Fluch heimzusuchen scheinen, hilft auch nicht gerade. Die HIV-Rate (Dunkelziffer könnte weit höher liegen) in Haiti ist so hoch wie in Teilen Afrikas, der Gebrauch von Kondomen nicht Standard, sei es mangels Geld oder Verfügbarkeit oder auch Überzeugung. Viele Mädchen werden schwanger, sobald sie die Pubertät erreichen. Ungeachtet vieler Versuchen der Missionierung Haitis seitens christlicher, aber auch anderer Religionen, bleibt der Voodoo-Kult integraler Bestandteil der Kultur. Wir hören Voodoo-Musik, erleben aus der Ferne Voodoo-Rituale und wie selbst Kinder in jungen Jahren stark auf diese Einflüsse reagieren. Ohne darüber Urteil fällen zu wollen, so empfinden wir doch, dass ein solches Umfeld der Modernisierung des Landes nicht gerade förderlich ist. Der Besuch eines lokalen Wochenmarktes auf der Insel ist für uns höchst interessant, erinnert mich aber gleichzeitig sehr an Afrika.

Das Angebot auf dem Wochenmarkt ist überschaubar. Wenige Meter entfernt wird ein Rind geschlachtet. Klarer kann einem der Kontrast zu unserer westlichen Welt kaum vor Augen geführt werden.

Das Angebot auf dem Wochenmarkt ist überschaubar. Wenige Meter entfernt wird ein Rind geschlachtet. Die zum Verkauf gebotenen Tiere sehen sehr unterernährt aus. Klarer kann einem der Kontrast zu unserer westlichen Welt des Überflusses kaum vor Augen geführt werden.

Am Sonntag, den 15.2., meinem 41. Geburtstag, stechen wir erneut in See. Diesmal mit Kurs auf Jamaika. Der vorgesagte starke Wind aus Nordost bleibt lange aus. Reinhard gibt schon fast die Hoffnung auf und holt die Segel ein. Erst als wir unter Motor den westlichsten Zipfel der haitischen Insel passieren, setzt schlagartig der angekündigte Wind ein. Mit dreifach gerefften Segeln und Spitzengeschwindigkeiten von über 10 Knoten peitschen wir bei Windspitzen von bis zu 35 Knoten durch die aufgebrachte See. Dutzendfach brechen hohe Wellen über das Cockpit und duschen denjenigen der gerade Wache hat. Ich gehe früh ins Bett, um ausgeruht für meine Wache zu sein. Gegen elf Uhr, während Judys Wache, befinden wir uns auf Kollisionskurs mit einem Tanker, der noch 10 Seemeilen entfernt ist, sich allerdings mit hoher Geschwindigkeit nähert. Reinhard funkt über den internationalen „Distress“-Kanal 16 und erreicht den Kapitän, der uns nach unserer Position fragt. Reinhard gibt ihm die Koordinaten durch und wartet auf Bestätigung. Der Tankerkapitän, der einen russischen Akzent zu haben scheint, fragt erneut: „What is your position?“ Reinhard wiederholt die Daten. Obwohl er uns versteht und wir über AIS-Kennung verfügen, die alle Schiffe über Satelit sichtbar macht, kann der Russe uns auf seinen Instrumenten nicht finden. Er fragt noch einmal. Reinhard wird ungehalten: „I am giving you our position for the third time now! We are on collision course!” Endlich wird der Russe wach: “OK, I can see you. No worries. I will change our course to starboard. No worries. You stay on your course.“ Reinhard kann nicht zurückhalten, dass wir als Segelboot nur begrenzt auf Geschwindigkeit und Kurs Einfluß haben, aber die Anspannung weicht nun von ihm. Wir sind noch in ausreichendem Abstand, keine kritische Situation, aber als Segelboot kann man einem Tanker, der zu nahe kommt, fast nicht mehr ausweichen. Ich dokumentiere das Geschehen mit Kamera und gehe schlafen.

Der Tanker (grüner Pfeil) hat seinen Kurs geändert. Wir (rotes Fadenkreuz ganz oben) können unbesorgt weitersegeln.

Der Tanker (grüner Pfeil) hat seinen Kurs geändert. Wir (rotes Fadenkreuz ganz oben) können unbesorgt weitersegeln.

Ich trete meine Nachtwache um 2 Uhr morgens an. Reinhard gibt mir sein Ölzeug und prompt werde ich auch mehrfach geduscht. Die Nacht ist stockduster, kein Mond weit und breit und ich suche den Horizont nach Schiffen ab. Weil Reinhard die ganze Nacht auf Standby ist, mache ich statt zwei Stunden drei und wecke ihn um 5 Uhr. Dann gehe ich wieder schlafen.

Als ich erwache, können wir bereits die Küstenlinie von Jamaika sehen. Gegen 13 Uhr erreichen wir die Marina von Port Antonio. Nun erwarten uns die üblichen Prozedere: Besuch von Hafenpolizei, Quaratäneamt, Immigrationsbehörde, Hafenmeister etc. Da wir innerhalb der Bürozeiten ankommen, verlangen die Behörden hier keine Gebühren. Nur für den Liegeplatz zahlen wir 58 US-Dollar die Nacht. Am nächsten Morgen gehen Gordana und Santiago von Bord, sie wollen Jamaika weiter über Land erkunden. Wir besichtigen den Ort und kaufen ein. Haben in Haiti fast alle Reserven aufgebraucht. Ich mache zwei Ladungen Wäsche fertig. Wir fühlen uns, als seien wir in die Zivilisation zurückgekehrt: es gibt Supermärkte, Autos, Strassen. Port Antonio liegt umgeben von Regenwald. Es regnet hier häufiger. In den Strassen grüßen die Rastamänner, bieten dies und jenes zum Verkauf. Reggae-Musik überall. Die allgemeine Stimmung hier ist fröhlich, beschwingt: „Welcome to Jamaica!“

Engine failure in Boca Chica

Wir verlassen die Isla Catalina nach zwei Übernachtungen, die nach Abfahrt der Tagesgäste gegen 16 Uhr jeweils recht ruhig sind, mit Kurs auf Boca Chica, einem kleinen Küstenort keine 30 Kilometer vor Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Die Überfahrt wird nur zwischen sechs und acht Stunden dauern, wobei wir mangels Windes überwiegend unter Motor fahren.

Da es heiß ist und wir eine kleine Abkühlung brauchen, beschließt Reinhard, auf halber Strecke den Motor auszuschalten, damit wir schwimmen gehen können. Frank und Judy springen ins kühle Meer und genießen das „freie Schwimmen“. Plötzlich wird unser eher beherrschter Skipper, der als Bremer Jung‘ ein eher nordisches Gemüt hat, ungewöhnlich laut: „Wal!“ ruft er aus, „Wal in Sicht!“. Und tatsächlich – etwa zweihundert Meter von uns entfernt sehen wir deutlich zwei Wale auf- und abtauchen. Ich hole das Fernglas und erkenne Buckelwale. Frank holt seine Schnorchelbrille und schwimmt den Walen entgegen.

Ich sehe die ersten Wale in freier Natur.

Ich sehe die ersten Wale in freier Natur.

Leider kommen sie aber nicht näher. Wir warten noch eine Weile, in der Hoffnung, dass sie vielleicht neben uns auftauchen, dann starten wir die Motoren. In meinem gesamten Leben ist es meine erste Begegnung mit diesen großen Säugetieren – ein besonderer Moment. Wie wir von Reinhard erfahren, ziehen in diesen Wochen viele „Humpbacks“, also Buckelwale für die Geburt ihrer Walkälber in die dominikanische Bucht von Samana an der Ostseite der Insel.

Wir fahren die größten Teil dieser Strecke unter Motor und erreichen am frühen Abend die Bucht von Boca Chica. Hier liegt auch ein großer Gastankerhafen, und mehrere Tanker fahren Warteschleifen, um nacheinander anzulegen. Wir halten großen Sicherheitsabstand und finden die schmale Einfahrt zum von einem idyllischen, natürlich geformten Riff und dadurch geschützten Yachthafen „Marina Zar Par“, in dem das Wasser ruhig, türkisblau und glasklar ist, trotz der viele Jetskis, deren Fahrer hier wie die Berserker durch den Hafen preschen, ohne sich um die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 5 Knoten zu kümmern. Etwas entsetzt von dem riskanten Fahrstil der Einheimischen tasten wir uns im Schneckentempo vor, da es hier sehr flache Stellen gibt und wir nicht aufsetzen wollen. Das digitale Lot zeigt mitunter nur 90 Zentimeter Wasser unterm Kiel an. Schließlich steuern wir eine sogenannte Muringboje an, wo wir festmachen, weil das günstiger ist, als an der Pier anzulegen. Ein Docktender kommt mit einem Motorboot und begrüßt uns herzlich: „Where are you from? Deutschland?! Ich liebe Dich!“, ruft der Mann, der sich uns als „Rico“ vorstellt und der uns in den kommenden Tagen immer wieder hilfreich zur Seite stehen wird.

Die Marina Zar Par bei Boca Chica, durch die Luke meiner Kabine aufgenommen.

Die Marina Zar Par bei Boca Chica, durch die Luke meiner Kabine aufgenommen.

Vom Strand her schallen in ohrenbetäubender Lautstärke gleich ein Dutzend verschiedener Musikanlagen mit bass-lastigen Rhythmen. Nach der vergleichsweise ruhigeren Marina in Casa de Campo sind unsere Sinne hier schnell überreizt. Da erst Mittwoch ist, wollen wir uns gar nicht ausmalen, wie es hier am Wochenende zugeht. Am nächsten Tag ist es dagegen ungewöhnlich ruhig und wir erfahren, dass der Vortag ein Feiertag war. Boca Chica liegt ungefähr einen Kilometer entfernt. Es scheint ein Partyort zu sein, eine Art karibischer Ballermann, leider auch ein Magnet für Sextouristen älterer Semester. Als wir am Abend auf dem sogenannten „Strip“ ausgehen, sehen wir viele hellhäutige Renter mit ihren dunkelhäutigen, blutjungen Lokalschönheiten im Arm. Auch wir werden als potentielle Kunden angesprochen und können uns die Damen nur mit Mühe vom Hals halten. Auch viele Straßenjungen halten uns ihre Hand auf oder zeigen auf unsere Schuhe, mit einem Schuhputzkasten in der Hand, in der Hoffnung, unseren Auftrag zu bekommen, gegen einen kleinen Obulus. Andere Jungen verkaufen Kaugummis oder ähnliches. Als ich einem eine Packung abkaufe, will er gleich danach eines geschenkt bekommen. Ich gebe ihm eins ab und gleich stehen ein Dutzend Jungs Schlange, um ebenfalls eins zu kriegen. Am Ende ist die Packung leer, ohne dass ich selbst eins hatte, egal. Die Jungs freuen sich und tanzen im Kreis. Hier und da spendieren wir den Strassenkindern was zu trinken oder zu essen. Ich bezweifele, dass sie die Schule besuchen. Wir werden die Welt damit nicht retten, aber eine kleine Geste ist besser, als gar nichts zu tun.

Nachts brennen in der Nähe Müllberge. Der Geruch von verbranntem Plastik hält bis in die Morgenstunden an. Je nach Windrichtung schließe ich alle Luken in meiner Kabine, da ich ansonsten Hustenanfälle von dem beißenden Gestank bekomme. Ich habe mich nun auch erkältet, da ich mich nachts wegen der Hitze kaum zudecken kann und morgens, nach einsetzender Abkühlung der Luft mehrfach fröstelnd aufwache. Außerdem ist der krasse Kontrast von Außenklima zu vielen klimatisierten Umgebungen, wie manchen Bussen, Banken, Geschäften etc. reines Gift für das Immunsystem. Ich gewöhne mir an, mir frühmorgens etwas überzuziehen, sobald ich erstmals wach werde. Ein Fläschchen aus Deutschland mitgebrachtem Meditonsin hilft meiner Genesung binnen weniger Tage. Allein mein Husten zeigt sich etwas hartnäckiger und klingt erst nach über einer Woche ab.

Einen dieser Tage nehmen wir den örtlichen Bus nach Santo Domingo, um das koloniale Erbe zu besichtigen. Es stehen noch einige Ruinen aus den ersten Jahren der Kolonialisierung Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Kathedrale, deren Bau sich über einige Jahrzehnte hinweg zog, da der spanische Architekt und die Bauarbeiter nach Bekanntwerden von Goldentdeckungen in Mexiko dorthin abhauten, ist dagegen in gutem Zustand und Einsatz.

Die Kathedrale von Santo Domingo.

Die Kathedrale von Santo Domingo.

In einem Gebäude zu Ehren des Militärs finden wir Geschenke der ehemaligen Diktatoren Franco und Hitler, die uns ein Touristenführer stolz präsentiert, auch wenn wir ihm versichern, dass wir keine Freunde dieser Bekanntheiten sind. Er bestätigt zu unserer Erleichterung, dass er auch findet, dass das keine guten Menschen waren.

Am 29. Januar wollen wir, eine Woche nach Ankunft in Boca Chica, weitersegeln. Unser Ziel: Las Salinas, liegt rund 80 Seemeilen entfernt. Wir machen alles abfahrbereit, erhalten eine Ausfahrgenehmigung, ein Despacho, für 16 Uhr und machen die Leinen los.

Zunächst scheint alles normal, wir überwinden die flachen Stellen und befinden uns bereits an der Hafenausfahrt. Plötzlich ertönt im Boot ein durchgehender Alarmton, der eine erhöhte Temperatur in einem der jeweils doppelten Kühlungskreisläufen der beiden Motoren ankündigt. Nach kurzer Beratung schalten wir den linken Motor ab. Wir sind zwar noch manövrierfähig, aber nun deutlich eingeschränkt. Da wir nicht das Risiko auf uns nehmen wollen, mit nur einem Motor die gesamte Strecke zu fahren – immerhin könnte dieser theoretisch auch ausfallen – drehen wir um. Wir legen wieder an der gleichen Mooring an und Reinhard inspiziert den noch heißen Motor. Der geschlossene Kühlwasserkreislauf hat sich komplett in den Maschinenraum entleert. Er findet auch schnell die Ursache: eine kleine Schelle ist gebrochen und deswegen ist ein Kühlwasserschlauch vom Druck abgeplatzt. Er schöpft die Kühlflüssigkeit aus dem Maschinenraum, findet in seinen Ersatzteilen die passende Ersatzschelle und montiert sie, sobald der Motor etwas abgekühlt ist. Dann füllt er neue Flüssigkeit ein.

Reinhard arbeitet im Maschinenraum, in den er komplett hineinklettern muss.

Reinhard arbeitet im Maschinenraum, in den er zeitweilig komplett hineinklettern muss.

Wir starten die Maschine und machen einen Testlauf: der Motor läuft eine halbe Stunde problemlos, er bleibt dicht und die Temperatur bleibt im Normalbereich. Das war nochmal glimpflich. Ein kapitaler Motorschaden könnte uns wochenlang vor Ort festhalten und auch die Kosten für einen neuen Motor sind nicht ohne: Reinhard meint, es seien an die 14.000 Euro, die der Hersteller für den 1-Liter-Dreizylinderdiesel verlangt. Ich bin erstaunt, wie deutlich der Preis von dem eines PKW-Motors abweicht. Die Hersteller lassen sich die „Marinisierung“ der Aggregate augenscheinlich gut bezahlen!

Da wir nach 18 Uhr nicht mehr auslaufen dürfen und auch eine neue Genehmigung brauchen – kurz nach unserer Rückkehr taucht schon die Wasserschutzpolizei auf und fragt uns nach dem Grund für unser Umdrehen – müssen wir die Nacht bleiben und gehen nochmal ein Bier in Boca Chica trinken. An unserem „Stammkiosk“ kostet die Literflasche gerade mal 120 Pesos, das sind 2,40 Euro, samt vier Bechern und der Möglichkeit, diese direkt vor Ort zu konsumieren. Es stehen Plastikstühle bereit und wir beobachten die abendliche Szenerie des Strips.

Am nächsten Nachmittag gegen 14 Uhr laufen wir aus. Wir setzen zwar gleich die Genua, als wir den Hafen hinter uns gelassen haben, zunächst lassen wir jedoch die Motoren an, die nun zuverlässig, ohne Überhitzung, ihren Dienst tun. Die neue Schelle hält dem Betriebsdruck von einem bar stand. Der Wind ist noch recht schwach, da wir in „Abdeckung“ einer Landzunge fahren. Als wir dann aber mehr Abstand zur Küste haben, kommt dann deutlicher stärkerer Wind auf. Wir reffen das Großsegel zweifach. Der Katamaran hat bereits an die 11,5 Knoten drauf, selbst mit Reff. Bei Windstärken von rund 28 Knoten, wie sie jetzt herrschen, wären wir auch mit ungerefftem Segel nicht schneller. Ich ziehe meine Rettungsweste an. Es gibt auch für jeden der Crew einen Gurt zum „Einpicken“, damit man nicht von Bord gepustet wird. Auf Deck ist mir das jetzt sicherer, wenn wir an den Segeln hantieren. Es wird langsam dunkel und wir schießen durch die See. Wir werden unser Ziel, die Bucht von Las Salinas, viel schneller, als erwartet erreichen. Für eine knappe Stunde übernehme ich das Steuer. Dann lege ich mich für eine Stunde hin. Gegen ein Uhr morgens stehe ich wieder auf. Wir bereiten unsere Ankunft vor. Da die Bucht sehr flache Stellen hat, setze ich mich vorne auf einen der Delfinsitze am Bug und halte nach Tonnen, Fischernetzen und Untiefen Ausschau. In Schleichfahrt bewegen wir uns in die wenig beleuchtete Bucht hinein, finden eine handvoll anderer Boote vor Anker und suchen uns eine sichere Stelle, wo wir unseren Anker setzen. Dann gehen wir schlafen, es ist 2.30 Uhr am Morgen.

Wir erwachen am Morgen und sehen uns die Bucht genauer an. Der Ort scheint wesentlich verschlafener zu sein, als Boca Chica. Auf der westlichen Seite ragen hohe Berge am Horizont hervor. Nördlich sehen wir hohe Dünen, wie sich herausstellt, die höchsten der Karibik.

Die Berge am Horizont von Las Salinas, einem Ort, an dem früher Meersalz gewonnen wurde, erinnern eher an skandinavische Küstengewässer...

Die Berge am Horizont von Las Salinas, einem Ort, an dem früher Meersalz gewonnen wurde, erinnern fast schon an skandinavische Küstengebiete…

Wir suchen die örtliche Meldestelle der Marine und melden uns mit unserem „Despacho“. Für jede Ankunft und Abfahrt muss ein Segler sich das Formular ausstellen lassen und hierfür die Pässe der Besatzung vorlegen. Bürokratie pur. In Europa und den USA kann man als Privatperson ohne solche Formalitäten Häfen anlaufen und verlassen.

Wir besteigen die Dünen und betrachten die Aussicht. Später gehen wir im einzigen Fischrestaurant des Dorfes essen und trinken, wie die Einheimischen, vor einem der Kioske ein Bierchen. Auch hier drehen sie die Musik am Abend ohrenbetäubend auf. Aber die Menschen im Örtchen sind freundlich und hilfsbereit. Am Morgen des 1. Februar lichten wir den Anker und segeln und motorn die kurze Strecke von 35 Seemeilen, teilweise aber ohne Wind, nach Barahoda. Hier will ein serbisch-spanisches Pärchen zu uns stoßen.

Logbuch der RUNAWAY

Donnerstag, 15. Januar 2015 – Nach zwei Tagen Aufenthalt in der Bucht von Boqueron, Puerto Rico, lichten wir den Anker und setzen die Segel Richtung Dominikanische Republik. Wir haben Frischwasser aufgenommen und den Dieseltank aufgefüllt.

Die Passage zwischen Puerto Rico und der D.R. kann tückisch sein. Unser Skipper Reinhard hat die Seewetterprogose gecheckt und befunden, dass es in der kommenden Nacht sicher genug ist. Wind und Strömung gehen in Fahrtrichtung. Zunächst haben wir ausreichend Wind und nur leichte, achterliche Wellen (von hinten). Wir hissen nur die Genua (Vordersegel) und nehmen rund 5-6 Knoten Geschwindigkeit Fahrt auf. Die Entfernung zu unserem Zielhafen, der „Marina Casa de Campo“, beträgt 120 Nautische Meilen (eine NM beträgt 1.852 Meter). Wir werden voraussichtlich 24 Stunden für die Überfahrt benötigen.

Die Sonne scheint und es gibt, außer für den Steuermann, nicht viel zu tun. Frank möchte es mit der Angel probieren und es dauert auch nicht lange, bis ein gar nicht so kleiner Fisch am Haken hängt. Beim Reinholen merken wir jedoch, dass es leider ein Barracuda ist. Der würde wohl schon gut schmecken, es wird aber weltweit vor dem Verzehr dieses Fisches gewarnt, da die Wahrscheinlichkeit besteht, dass er mit Keimen belastet ist, die Lähmungserscheinungen auslösen können. Dummerweise hat sich der Haken auch noch so böse in seinem Maul verfangen, dass er seitlich herausschaut. Frank hält dem Fisch die Augen zu und löst mit Mühe den Haken, bevor er ihn wieder ins Meer wirft.

In dieser Gegend zieht man überwiegend Barracudas aus dem Wasser..

In dieser Gegend zieht man überwiegend Barracudas aus dem Wasser..

Mit etwas Glück wird der Fisch das überleben. Wir lassen das Angeln erstmal, da wir hier wohl überwiegend Baracudas fangen würden. Am späten Nachmittag flaut der Wind ab. Reinhard wirft die Motoren an, die Genua bleibt aber erstmal stehen. Das spart Sprit, solange der Wind nicht zu schwach wird.

Wir kommen in Sichtweite der großen, unbewohnten Insel „Isla e Mona“, auf der es wohl nur eine Rangerstation gibt, da es sich um ein Naturschutzgebiet handelt. Sie gehört noch zu Puerto Rico, liegt also innerhalb US-Territoriums. Wir sehen in der Entfernung ein Schiff, der zunächst näher kommt und dann ganz eindeutig Kurs auf uns nimmt. Es kann sich also nur um die Küstenwache handeln (oder um in der Karibik mittlerweile selten gewordene Piraten;-). Per Funk auf Kanal 16 werden wir aufgefordert, uns zu identifizieren. Skipper Reinhard versucht, über unser Bordfunkgerät zu antworten, dies wird aber von der Gegenseite nicht gehört. Nochmals hören wir „This is US Coast Guard calling Sailing Vessel.. [und die Position] ..do you copy?“. Reinhard versucht es mit dem Handfunkgerät und nun hört uns auch die Gegenseite. Die Küstenwache, deren Boot inzwischen nur noch 100 Meter entfernt längsseits unseres fährt, stellt uns nun einige Fragen zu Boot, Besatzung, Abfahrts- und Bestimmungshafen. Nachdem wir alles beantwortet haben, wollen sie noch netterweise wissen, ob wir unsererseits etwas benötigen. Als wir dies verneinen wünschen sie uns einen schönen Abend und entfernen sich erst langsam wieder, nachdem sie uns noch eine gute Viertelstunde begleitet haben. Hier draussen ist nicht viel Verkehr und da ist es eigentlich ein gutes Gefühl, wenn jemand in Funknähe ist.

Es wird langsam dunkel und der Wind wird so schwach, dass wir die Genua einholen und nur unter Motor fahren. Reinhard teilt die Nachtwache ein, jeder von uns muss drei Stunden übernehmen. Er instruiert uns hinsichtlich Kurs und der Beobachtung der Instrumente und dann geht ein Teil von uns schlafen. Judy hat die erste Wache von 21-24 Uhr. Dann ist Frank an der Reihe, bis drei Uhr morgens. Ich stelle meinen Handy-Wecker und stehe um kurz vor drei Uhr auf, ziehe Hose, Jacke und Rettungsweste an und mache einen Kaffee. Dann löse ich Frank ab und nun liegt die Verantwortung für die Sicherheit von Boot und Mannschaft bei mir. Ich halte konzentriert Ausschau und nehme auch regelmäßig das Fernglas, um mir Ungewöhnliches näher vors Auge zu holen. Noch ist es sternenklar. Der Sternenhimmel ist so voll, wie er wegen des „Lichtsmogs“ in den dicht besiedelten Regionen für uns nur selten zu sehen ist.

Reinhard schläft wenige Meter entfernt auf der Salonbank, um jederzeit – im Fall der Fälle – ansprechbar zu sein. Er wacht regelmäßig –ungefähr jede Stunde – auf, schaut auf den neben ihm stehenden Laptopbildschirm, um zu sehen, ob wir noch auf Kurs sind, und geht dann wieder schlafen.

Die See ist ruhig. Die Wache erlaubt mir, meinen Gedanken nachzuhängen und Ideen zu spinnen. Dann kommt eine große dunkle Wolke von hinten und es regnet kurz, bis sie über uns hinweggezogen ist und der Himmel wieder aufklart. In der Entfernung überholt uns ein Kreuzfahrtschiff. Es leuchtet wie eine Geburtstagstorte in der Nacht. Erst gegen sechs Uhr wird es hell. Als Reinhard aufsteht, setzen wir das Hauptsegel. Der Wind hat aufgefrischt. Ich gehe schlafen.

Am späten Vormittag erreichen wir die Marina Casa de Campo. Zunächst tanken wir Diesel nach und werden dann von den Dock Tenders an einen freien Platz am Steg eingewiesen. Nun kommen auf einen Schlag kommen acht Offizielle in Uniform an Bord, um mit uns die Einreiseformalitäten durchzugehen. Jeder „Abgesandte“ will eine Gebühr erheben: wir fühlen uns wie in einer Bananenrepublik. Obwohl wir keine Tiere dabei haben, gibt’s eine Tierquarantänegebühr. Am Ende zahlen wir insgesamt 245 US-Dollar. Dafür ist die Liegegebühr relativ günstig, nur 38 US-Dollar pro Nacht. Im Mittelmeer zahlt man leicht das Doppelte bis Vierfache. Wir richten es uns in der Marina ein und entdecken nach und nach das riesige Ressort, zu dem der Yachthafen gehört.

http://marinacasadecampo.com.do/

Das Gelände ist so groß, dass man hier mit Golf-Karts umherfährt bzw. gefahren wird. Und ist klar: dies ist nicht die wahre Dominikanische Republik, sondern eher ein Phantasialand für reiche Menschen. Es gibt einen Hubschrauberlandeplatz und sogar ein komplett nachgebautes toskanisches Dorf mit Dorfkirche und römischen Amphitheater (!). Die Preise der Gastronomie sind auf nicht unbedingt landestypisch. Eine Dose Cola am Ressort-Hotelpool schlägt mit rund 5 Euro zu Buche.

Das Ambiente passt, die Sonne läßt heute etwas auf sich warten..

Das Ambiente passt, die Sonne läßt heute etwas auf sich warten..

Dafür sind der Pool und die Handtücher für uns inklusive. Wir fahren mit unserem „Dinghy“, dem Schlau-Beiboot in den Fluß, der an das Ressort angrenzt. Hier soll eine Szene des Films „Apocalypse Now“, dem Klassiker des Vietnamkriegsfilms, von Francis Ford Coppola mit Marlon Brando, gedreht worden sein. Wir versuchen uns vorzustellen, welche das gewesen sein könnte.

Wir kaufen im Marina-Supermarkt ein und kochen an Bord. Nebenan liegt eine große Motoryacht mit Kanadiern an der Pier, mit denen wir uns anfreunden.

In den gesamten drei Tagen in Casa de Campo verlassen wir das Ressort so gut wie nicht. So langsam geht uns die künstliche Umgebung hier auf den Wecker und wir machen am 19. Januar die Leinen los, um zur nahegelegenden Insel „Isla Catalina“, zu der tagsüber zwar das Partyvolk gekarrt wird, wo wir uns aber nachts die abgelegene Ruhe eines Eilandes versprechen. Als wir nachmittags ankommen, werden die Tagesgäste gerade aus der schönen Bucht auf die Boote gebracht. Binnen zwei Stunden ist die Insel bis auf wenige Einheimische wie ausgestorben: Für heute. Wir ankern, schnorcheln ein wenig und machen uns für den Sundowner bereit. Nach Einbruch der Dunkelheit gehen wir zeitig schlafen. Am Morgen dröhnt ein dumpfes Schiffshorn in der Bucht. Ich springe auf und schaue durchs Bullauge. Nicht zu fassen: Ein Kreuzfahrtschiff ist eben dabei vor unserer kleinen Briefmarken-Insel zu ankern. Wir ahnen, was nun kommt: hier werden heute über Tausend Tagesgäste an Land gebracht. Vorbei mit der Ruhe. Wir beobachten das Schauspiel der vielen Boote, die nun zwischen der „Costa Magica“ und der Insel hin- und herpendeln, mit leichter Verärgerung, aber auch belustigt. Wenigstens liegt das Schwesterschiff der „Costa Concordia“ nicht auf der Seite…

“Runaway” in the Caribbean

Wir schreiben das Jahr 2015. Die ersten Tage nach Neujahr verbringen Steve und ich häuslich in Minneapolis. Der Winter ist zurückgekehrt, nach einer Frostpause von rund zwei Wochen im Dezember, die ich genutzt habe, um den Audi zu Eric zurück nach New Jersey zu bringen. Das Thermometer zeigt Werte von unter -20 Grad Celsius. Nachts geht es auf bis zu -25, mit dem sogenannten „Windchillfactor“ sind das gefühlte Temperaturen von um die -35. Das ist zugleich seit Neuem in Minnesota der Grenzwert, ab dem die Schulen schließen. Und genau dies geschieht am zweiten Schultag des Jahres. Die Schulbehörden meinen, dass Schulkinder, die an den Bushaltestellen länger als 10 Minuten warten müssen, gesundheitliche „Frostschäden“ davontragen könnten – der berüchtigte „Frostbite“ ist eine allgegenwärtige Gefahr. Wir halten uns nur für kurze Spaziergänge, bei strahlender Sonne, im Freien auf, nutzen viel die „Skywalks“ der Innenstadt und ich besuche regelmäßig ein nahegelegenes Fitnessstudio. Wir gehen ins Kino („Unbroken“), ins Theater (Ein New Yorker Ensemble gastiert im „Walker“) und zu einem Kammerkonzert im St. Paul‘er Konzerthaus, wo Stravinksi und Beethovens Vierte gespielt werden – ganz ohne Dirigent! Die Tage fliegen vorüber, der Abschied von Nordamerika rückt näher und ich besteige am 11. Januar ein Flugzeug der Airline „Sun Country“, das mich in einer Flugzeit von 5 Stunden nonstop nach San Juan, der Kapitale der karibischen Insel Puerto Rico bringt. Puerto Rico gehört zum US-amerikanischen Territorium und hat den Status als 51. Bundesstaat beantragt, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erhalten. Amtssprache ist Spanisch, die Landeswährung ist der US-Dollar. Es ist mein zweiter Karibikaufenthalt insgesamt, vor drei Jahren war ich mit meinem Bruder Jonas auf Kuba. Ich habe in San Juan zwei Übernachtungen über AirBnB gebucht.

Das historische Haus ist im „Art Deco“-Stil gebaut. Ich erreiche Puerto Rico am Nachmittag gegen 16 Uhr, die Uhren sind hier der Zeit in Minneapolis zwei Stunden voraus. Das Thermometer zeigt eine um fast 50 Grad höhere Temperatur an, als Minnesota (mehr als 80 Grad höher in Fahrenheit)! Höchste Zeit, Jacke und Pullover loszuwerden. Meine wollene Winterjacke habe ich bereits in Minneapolis zurückgelassen, da ich sie ab jetzt auf dieser Reise nicht mehr brauchen werde, ebenso wie einen Woll-Pulli und ein Paar Handschuhe, das ich in Chicago gekauft hatte. Steve wird die Sachen zur Kleidersammlung seiner Kirchengemeinde bringen, wo sie den Obdachlosen in Minneapolis zur Verfügung gestellt werden, die die Sachen nun viel dringender als ich gebrauchen können. Und ich habe etwas weniger Gepäck, was mir sehr entgegen kommt. Am Flughafen nehme ich mit einem anderen Touristen ein Taxi, das uns in die Altstadt bringt. Eine Stunde später treffe ich in meiner Unterkunft ein. Milaida, meine Wirtin, ist unglaublich nett und hilfsbereit. In den kommenden zwei Tagen will ich die Stadt, in der es viel aus der Kolonialzeit zu sehen gibt, erkunden. Die Spanier haben mehrere Befestigungsanlagen gebaut, da dem Hafen von San Juan in der Kolonialzeit eine militärische Schlüsselrolle zukam. Es gibt auch ein „Bacardi“-Destille, welche die Bacardi-Familie, die aus Kuba vertrieben wurde, angelegt hat. Nachdem die Bacardis sich sehr um die kubanische Revolution verdient gemacht hatte, dankte es ihr Fidel Castro mit der staatlichen Enteignung ihrer Rum-Fabrik und aller dort auffindbaren Reserven, einschließlich der wertvollen, wohlgereiften alten Rum-Jahrgänge. Der Bacardi-Clan verfügte auf Kuba auch über eine erfolgreiche Bierbrauerei, die nur für den Heimatmarkt braute, allerdings den Vorteil hatte, dass dies Geschäft die Firmenfinanzen durch schnelleren Abverkauf liquide hielt. Da die Bacardis die Enteignung rechtzeitig kommen sahen, bauten sie vorsorglich Fabriken in Mexiko und Puerto Rico, später auch in Brasilien und in den USA, was ihnen nach der Enteignung die Geschäftsgrundlage für das Überleben sicherte. Zudem schafften sie es, sich weltweit die Marken- und Firmenlogorechte zu sichern, nachdem das Castro-Regime es verpasste hatte, diese in der schriftlichen Erklärung, welche die staatliche Übernahme der Bacardi-Fabrik im kubanischen Santiago de Chile verfügte, ausdrücklich zu benennen. Die sozialistische Weltsicht erkannte damals noch nicht den globalen Wert einer Marke, sie dachten, dass die Übernahme der Fabrik und die anschließende Produktion eines grundsätzlich gleichwertigen Produktes zur Vermarktung des Rums im Ausland reichen würde. Die Bacardis schafften es jedoch durch Gerichtsurteile, den Verkauf von kubanischem „Castro“-Rum unter dem Namen „Bacardi“ zu unterbinden, als das Regime dies außerhalb Kubas versuchte. Mehr zu diesem Thema kann man in einem außerordentlich spannenden Buch über „Bacardi and the Long Fight for Cuba: The Biography of a Cause“ von Tom Gjelten nachlesen.

Neben der interessanten Geschichte und der Attraktivität der Insel hat mich aber noch ein anderer Grund nach Puerto Rico kommen lassen: bereits vor sechs Wochen habe ich Kontakt mit einem Bremer Skipper Reinhard aufgenommen, der zur Zeit mit seinem Katamaran „Runaway“ die Welt umsegelt (Blog: https://runawaysailing.wordpress.com/ ) und der sich aktuell in der Gegend um Puerto Rico aufhält. Er hat über die Internetseite www.handgegenkoje.de Interessierten angeboten, diese für eine Zeitlang mitzunehmen, für eine geringe Tagespauschale (im Gegensatz zu vielen sehr teuren, kommerziellen Anbietern), dazu kommen lediglich die anfallenden, anteiligen Kosten für Diesel, Hafengebühren und Verpflegung. Dieses Traumangebot kann ich kaum ausschlagen! Ich habe mich per Email mit Reinhard verabredet, am 13. Januar, in Boqueron, einem kleinen Ort auf der Westseite der Insel, an Bord zu kommen. Mit einem sogenannten „Publico“, einem Kleinbus, fahre ich 2,5 Stunden nach Mayaguez. Von dort nimmt mich eine nette ältere Dame bis Boqueron mit. Am Strand stehend sehe ich den Katamaran in der Bucht liegen. Ich rufe auf dem Handy an und Reinhard kommt mit dem Schlauchboot, um mich zu holen. Es ist 18 Uhr. Ich bin an Bord der „Runaway“! Die Sonne geht unter.

Pünktlich zum "Sundowner" erreiche ich die RUNAWAY.

Pünktlich zum „Sundowner“ erreiche ich die RUNAWAY.

Am 15. wollen wir in die Dominikanische Republik übersetzen. Die Wetter- und Segelbedingungen sind günstig. Die aktuelle Position ist auf der Website www.marinetraffic.com abrufbar (Einfach unter der Suche den Schiffsnamen eingeben. Es gibt nur eine „Runaway“ unter deutscher Flagge).

On the road again – zur Ostküste und zurück

Am 11. Dezember, nach einigen weiteren entspannenden Tagen in Minneapolis, mache ich mich wieder auf den Weg: ich begebe mich mit dem Audi auf die rund 2.500-Kilometer-lange Rückfahrt nach New York, mit sieben geplanten Stopps und einer etwas anderen Route, als auf der Hinfahrt.

An diesem Donnerstag fahre ich Richtung Süden nach Forest City, einem kleinen Ort in Iowa, wo ich Karen und John Monson, Freunde meiner Familie, besuche. Ich werde herzlichst begrüßt und wir gehen mit einem Großteil der Familie Essen (zwei der drei erwachsenen Töchter kommen dazu und eines der Enkel). Mein Großvater mütterlicherseits war einige Jahre der örtliche lutherische Pastor und so verbrachte meine Mutter einen Teil ihrer Kindheit hier in Forest City. Auch ich war als Kind schon bei Monsons zu Besuch und sie haben mich wochenlang „betreut“. Wir haben uns alle lange nicht gesehen und viel Gesprächsnachholbedarf. Am nächsten Tag packe ich nach dem Frühstück meine Sachen und breche am späten Vormittag Richtung Osten auf, wo ich in Decorah Zwischenstopp mache, um Barb, die ehemalige Nachbarin meiner verstorbenen Großeltern zu besuchen. Sie hat Kaffee gekocht und weihnachtliches Naschwerk bereitgestellt. In Decorah liegt auch das Grab meiner Großeltern und zugleich meines Onkels Dan, dem jüngsten Bruder meiner Mutter. Nachdem ich mich von Barb verabschiedet habe, fahre ich zum Friedhof und suche den Grabstein auf. Es wird schon langsam dunkel und kühl und so halte ich mich nur einige Gedenkmomente auf, schaue einem Reh, das über den Friedhof spaziert hinterher und mache einige Fotos.

Das Thema

Das Thema „Wildwechsel“ wird mich auf dieser Fahrt noch einmal beschäftigen.

Dann geht’s weiter, denn ich will noch nach Madison in Wisconsin, um dort zu übernachten. Einen Schlafplatz habe ich noch nicht, aber das sollte dank AirBnB kein Problem sein. Mein Navi führt mich durch den nächtlichen Mittleren Westen und in „Prairie du Chien“ quere ich den Mississippi. Hier bin ich schonmal vor fünf Jahren durchgekommen und ich erkenne den Ort trotz Dunkelheit und starkem Nebel wieder. Ich halte bei McDonalds und nutze das kostenlose WiFi, um eine Unterkunft zu buchen. Zwei Stunden später rolle ich in das mir unbekannte Madison, Wisconsins Kapitale, und finde die Adresse von Marin und Peter, die mich für eine Nacht aufnehmen. Ich gehe schlafen und stehe früh auf, da ich zeitig auschecken soll, gehe kurz im nahegelegenen, verschneiten Park joggen und packe meine Sachen. Dann fahre ich ins Zentrum, um mir das Capitol (sieht ähnlich aus, wie das in Washington DC) anzuschauen. Ich spaziere durch die Stadt und werde Zeuge des Madison Santa Swimsuit Run, der jährlich zugunsten wohltätiger Zwecke gelaufen wird. Ziemlich viel nackte Haut unter freiem Himmel für die heutigen Temperaturen! Nach einem leichten Breakfast geht’s auf den Highway Richtung Chicago, wo ich erneut bei meinen Freunden Megan und John Preus unterkomme. Ich bleibe nochmal zwei Nächte, da mir der erste Besuch doch reichlich zu kurz war und Chicago wirklich viel zu bieten hat. John und ich fahren in die Stadt, um einen Künstlerfreund, der ebenfalls auf Durchreise ist, auf ein Bier zu treffen. Er hat nur eine knappe Stunde Zeit, um den nächsten Zug zu nehmen und wir kehren im nächstgelegenen Pub in Bahnhofsnähe ein. Am nächsten Tag will ich nochmal in die Stadt und nehme die S-Bahn (hier „train“ genannt) zum Lincoln Park, wo ich das Chicago History Museum aufsuche. Ich lerne einiges, was ich noch nicht über die Stadt wusste und schlendere im Anschluss durch „Old town“, das angrenzt.

Unvergessen bleiben natürlich nach wie vor die Chicagoer Gangstergeschichten.

Unvergessen bleiben in der Stadtgeschichte natürlich nach wie vor die Chicagoer Gangstergeschichten, aber auch im Bereich Stahl- und Fleischproduktion war die Metropole einst landesweit führend.

Dann geht’s zurück zur Wohnung, da wir alle bei einer Freundin der Familie zum Abendessen eingeladen sind. Das Essen ist lecker und wir haben einen netten Abend. Morgens – es ist Montag – gehen die Kinder zur Schule, Megan ist leider krank und bleibt mit Grippe im Bett. John verabschiedet mich gegen Mittag. Wir hoffen, uns 2015 in Deutschland wiederzusehen. Ich fahre den großartigen Lake Shore Drive entlang des Michigan Sees Richtung Süden, durch riesige Industriegebiete mit Raffinerien und anderer Schwerindustrie und nutze die erste Tankstelle auf der Interstate, um zu tanken und das Öl zu prüfen. Der Benzinpreis in Amerika ist in den letzten Wochen auf den niedrigsten Stand seit fünf Jahren gesunken, der Liter kostet umgerechtet nur noch an die 50-60 Eurocent. Das ist erfreulich für den Geldbeutel, aber für die Umwelt wohl weniger gut..

Im Süden Chicagos liegt ein riesiges Industriegebiet, das sich mit dem Ruhrgebiet leicht messen könnte..

Im Süden Chicagos liegt ein riesiges Industriegebiet, das kaum enden will..

Auf der Ostseite des Sees biege ich Richtung Norden und steure Detroit an. Dabei überfahre ich erneut die Zeitgrenze und mein Handy springt eine Stunde vor. Ich merke es erst, als es mir seltsam spät vorkommt. Die Fahrt nach Detroit dauert über fünf Stunden plus Pause. Amanda, bei der ich schon auf der Hinfahrt übernachtet habe, erwartet mich. Als ich ihr Haus erreiche, ist es acht Uhr und wir gehen zusammen in der Nachbarschaft zu Abend essen. Es ist ein Lokal, das von augenscheinlichen Hipsters betrieben wird: alle tragen Bärte und „hippe“ Klamotten. Gegen das Essen ist aber wirklich nichts einzuwenden, die Preise sind auch im Rahmen. Tagsdrauf fahre ich nochmal zum DIA – „Detroit Institute of Art“, wo ich beim ersten Besuch nur wenig Zeit hatte. Für nur acht Dollar Eintritt bekommt man hier Kunstwerke von Weltklasse zu sehen. Allein dies Kunstmuseum ist schon den Besuch der Stadt wert! Vor allem Diego Riveras riesige, raumfüllende „Industry Murals“ sind ein Augenschmaus und zugleich Zeitzeugnis für die große Vergangenheit der Stadt als ehemalige „Welthauptstadt der Autoproduktion“.

Mein

Das DIA: Mein „Geheimtipp“ für alle, die mal nach Detroit kommen sollten!

Anschließend fahre ich zum ehemaligen Detroiter Hauptbahnhof, der wie viele andere Gebäude „abandonend“, d.h. verlassen und ohne Funktion ist, zugleich aber zu prächtig, um ihn einfach abzureissen. Ich mache ein paar Bilder vom Auto aus, die Gegend scheint mir nicht ganz geheuer.

Einstmals ein Prunkstück von einem Bahnhof: Der

Einstmals ein Prunkstück von einem Bahnhof: Der „Michigan Central Station„.

Zurück in der Wohnung essen wir die „Leftovers“ vom Restaurant. Morgens muss Amanda zur Arbeit und ich breche Richtung Pittsburgh auf. Auf dem Weg aus der Stadt heraus halte ich am „Cafe 1923“, ein historisches Cafe im Stadtteil, und hole mir einen Kaffee, sowie ein Stück leckeren hausgemachten Kuchen für die Fahrt. Ich verlasse die Stadt über den West Grand Boulevard, vorbei am Motown Museum, das ich beim ersten Besuch besichtigt hatte. Das Motown-Musical gastiert gerade in Minneapolis. Die Fahrt nach Pittsburgh verläuft problemlos. Ich umfahre den südlichen Teil Lake Erie, immerhin der viertgrößte See Nordamerikas. Es geht aus dem Bundesstaat Michigan heraus, durch Ohio und dann hinein nach Pennsylvania. Spürbar lasse ich die unendlich erscheinenden Ebenen des Mittleren Westens hinter mir und komme in bergigeres Land. Die Interstate 79 führt durch zunehmend kurvigeres Gelände und ich genieße die Abwechslung. Zugleich erfordert der Verkehr mehr Konzentration. Ich erreiche die Stadt weit nach Einbruch der Dunkelheit und finde mich ein einem Mündungsdelta von zwei Flüssen wieder. Die Stadt ist imposant und das Leben scheint hier zu pulsieren, trotz oder gerade aufgrund seiner bedeutenden industriellen Vergangenheit. Ich finde meine Unterkunft, gehe in der – etwas tristen – Nachbarschaft ein Bier trinken und schlafe gut. Am Morgen laufe ich ein wenig durch die Gegend und finde erstaunlicherweise auch hier verlassene Häuser. Sogar eine große Kirche mit zugenageltem Portal. Immerhin auch eine Neubausiedlung in direkter Nähe. Ich packe, fahre in den naheliegenden, angesagten Stadtteil „Shadyside“ und suche mir ein Cafe, um zu Frühstücken. Es gibt hausgemachte Waffeln.

Auch in Pittsburgh kein seltener Anblick: eine verlassene Kirche.

Auch in Pittsburgh kein seltener Anblick: verlassene Häuser und Kirchen.

Leider habe ich nicht mehr Zeit für diese interessante Stadt, sehe jedoch auf dem Weg heraus viele imposante Häuser und den augenscheinlich immer noch bestehenden Wohlstand in der Stadt. Ich fahre hinaus Richtung Baltimore, wobei ich durch bergiges Land fahre und sogar verschneite Höhenlagen, die Appalachian Mountains, passiere.

Obwohl es in diesen Tagen mild ist, komme ich in höheren Lagen doch an verschneiten Felsen vorbei.

Obwohl es in diesen Tagen mild ist, komme ich in höheren Lagen doch an verschneiten Felsen vorbei.

Anschließend fahre ich im Dunkel auf der zweispurigen Highway 30 und komme auch durch die historisch bedeutende Stadt Gettysburg, in der während des Sezessionskrieges vom 1. bis zum 3. Juli 1863 die Schlacht von Gettysburg stattfand. Sie gilt als einer der entscheidenden Wendepunkte des Amerikanischen Bürgerkrieges. Mit mehr als 43.000 Opfern, davon über 5.700 Gefallene, war die Schlacht um Gettysburg eine der blutigsten Schlachten auf dem amerikanischen Kontinent überhaupt. Leider kann ich wegen der Dunkelheit nicht viel von den Denkmälern sehen und habe auch nicht die Zeit, zu halten.

Einziges

Einziges „Beweisfoto“ meiner Durchfahrt durch Gettysburg: Das Navi zeigt meine Position an.

Die Straße ist sehr kurvig und ich konzentriere mich auf ihren Verlauf. Plötzlich sehe ich keine 100 Meter vor mir rechts ein Reh am Strassenrand! Ich bremse heftig ab. Als ich sehe, dass es zum Überqueren ansetzt und eine Herde von weiteren Rehen zu folgen droht, bin ich zu einer kompromisslosen Vollbremsung gezwungen. Ich komme mit qualmenden Reifen – in einer Rauchwolke – zum Stehen, während ich den Gegenverkehr durch stakatomäßiges Aufblenden meines Fernlichtes auf die Gefahr aufmerksam zu machen versuche. Aufgrund der heftigen Bremsung ist der Motor komplett ausgegangen. Wenige Meter vor mir queren ein halbes Dutzend Rehe die Strasse. Es riecht penetrant nach verbranntem Gummi. Bilanz des unverhofften Zwischenfalls: Niemand verletzt, kein Reh getroffen, kein Blechschaden: Gerade noch mal Glück gehabt! Ich schalte die Automatik zurück auf „P“, starte den Motor neu, lege wieder „D“ ein und rolle langsam weiter, in der Hoffnung, mir keinen Bremsplatten zugezogen zu haben.

Ich komme auch durch

Im Dunkeln passiert: Ich komme auch durch „Hanover“ in Pennsylvania. Wenig später bin ich im Bundesstaat Maryland.

Eine halbe Stunde später erreiche ich Phoenix, Maryland, ein kleines Örtchen, in dem weitere Freunde meiner Eltern leben, Gail und Mike, sie sind ehemalige Studienkollegen meiner Mutter. Bei ihnen übernachte ich und erwache morgens in einer schönen Umgebung, erstmalig seit meiner Abreise von Minneapolis kommt die Sonne durch die Wolkendecke. Wir frühstücken, schauen uns im Garten die von Rehen angeknabberten Bäume an und ich breche am Nachmittag auf, um die letzte Autoetappe nach New York bzw. New Jersey anzutreten.

Von Rehen form-

Von Rehen form-„gestaltete“ Bäume im Garten.

Obwohl ich mich zunächst etwas verfahre, da mein Navi für eine Weile meine aktuelle Position verliert, genieße ich die herrliche hügelige Landschaft von Maryland, bevor ich in der einsetzenden Dämmerung auf den Highway 1 gehe, der den gesamten Weg bis nach New Jersey führt. Auf Mikes Empfehlung hin jedoch wechsele ich kurz vor Philadelphia auf die Interstate, um die Stadt und damit den Berufsverkehr südlich zu umfahren. Ich habe guten Ausblick auf die nächtliche Skyline und bedaure, hier ebenfalls keine Zeit für einen Stopp zu haben. Hinter Philadelphia gehe ich wieder auf die 1 und komme gut voran, trotz einiger Ampeln. Je näher ich an New York komme, nimmt der Verkehr jedoch deutlich zu. In New Jersey angekommen, erkenne ich schon bald die Straßenzüge wieder und finde den Weg zu Erics Loft/“Künstlerlagerhaus“, in dem ich schon bei meiner Ankunft in Amerika übernächtigt hatte, leicht wieder. Ich habe es geschafft! Hinter mir liegen gut 5.000 Kilometer, die ich in den letzten zwei Monaten mit dem Audi zurückgelegt habe. Nun bekommt Eric, dem er gehört, ihn zurück. Schon als ich noch auf der Strasse einparke, kommt Eric raus und begrüßt mich freudig. Ich nehme mein Gepäck mit rein und beziehe eines der 15 AirBnB-Zimmer. Das Loft ist inzwischen wieder ein wenig umgestaltet worden: unter anderem liegt nun überall Teppich. Dave, ein Freund von Eric und ich gehen zur Feier des Tages in einem bayrischen Bierkeller was trinken. Am nächsten Tag lasse ich das Auto nebenan im Autowaschbetrieb waschen, was von vier mexikanischen Mitarbeitern noch komplett von Hand ausgeführt wird. Danach führt Eric mir seinen neusten Service vor: eine Stretch-Limousine, mit der Gäste auf Wunsch abgeholt werden können.

Wer bei Eric übernachtet, kann sich von einer Stretch-Limo abholen lassen..

Wer bei Eric übernachtet, kann sich von einer Stretch-Limo abholen lassen..

Nachmittags fahre ich nach Manhattan, um es doch nochmal ins Guggenheim Museum zu schaffen, was auch knapp gelingt.

Das beeindruckende von Frank

Das architektonisch beeindruckende Gebäude des Guggenheim von Frank Lloyd Wright.

Danach spaziere ich die Fifth Avenue hinunter und bewundere die in New York einmalige Weihnachtsdekoration.

Viele New Yorker Gebäude sind weihnachtlich angstrahlt.

Viele New Yorker Gebäude sind weihnachtlich angestrahlt.

Das Schaufenster von „Tiffany’s“ ist nur dezent mit Schmuck dekoriert.

Am nächsten Morgen nehme ich um 8:15 Uhr den Amtrak-Zug „Adirondack“ nach Montreal, Kanada, um Christopher, den ersten Mann meiner wiederverheirateten älteren Schwester Johanna, zu besuchen. Die idyllische Fahrt entlang des Hudson River dauert planmäßig bereits über elf Stunden, nach zweistündigem Aufenthalt an der US-kanadischen Grenze werden es dann zwölf Stunden. Die Reise führt in den zunehmend kälter werdenden Norden und der Schnee türmt sich entlang der Gleise immer höher.

Gegen kurz nach acht Abends erreiche ich Montreal und Christopher holt mich zusammen mit seinem Sohn Samuel ab. Es ist viel kälter als New York, wo es verglichen hiermit recht mild war. Wir fahren nach Hause, ich treffe den Rest der Familie, Tochter Anne-Sophie und Christophers Partnerin Marie-Claude. Nach einem kleinen Abendessen gehen wir schlafen. Morgens macht Christopher Frühstück – er wirbelt gerne in der Küche – es gibt „French Toast“, was man bei uns „Armer Ritter“ nennt, mit kanadischem Ahorn-(Maple)-Sirup. Danach muss er zu einem Termin und ich gehe in die Stadt und schaue mich um. Hier bin ich schon vor 36 Jahren, als Vierjähriger gewesen, als meine Familie nach zweijährigem Aufenthalt in St. Paul, Minnesota, die Heimreise per Schiff antraten: die Passage dauerte damals knapp zwei Wochen. Und dann bin ich nochmal vor 21 Jahren in Montreal gewesen, als meine Schwester hier lebte und ich gerade mein Abi in der Tasche hatte: ich blieb gleich zwei Monate. Ich kenne mich also etwas aus und auch die französischen Schilder sind mir vertraut, selbst wenn ich nicht alles lesen kann. Es ist kalt, aber ich laufe dennoch bis zum Saint Laurent Fluss und flaniere durch „Old Montreal“ (französisch: Vieux-Montréal). Dann treffe ich Christopher zum Mittagessen in einem Pub. Am späten Nachmittag nehmen wir die Kinder zum Schlittenfahren auf einen Schneehügel, mit Aussicht auf die im Dunkeln beleuchtete Innenstadt.

Am nächsten Tag, es ist Dienstag, der 23. Dezember, fliege ich nachmittags mit Air Canada zurück nach Minneapolis, um Weihnachten mit meinem Onkel Steve zu feiern. Ich muss planmäßig in Toronto zwischenlanden, dann hat der zweite Flug leider deutlich Verspätung. Das Flugzeug wird ausgetauscht und auch die Crew trifft verspätet ein. Erst gegen 22:30 Uhr Ortszeit lande ich in Minneapolis und bestelle mir per „Uber-App“ ein Privat-Taxi, mit dem ich zum Haus von Dan und Paula fahre, langjährigen Freunden meines Onkels Steve, bei denen heute Abend eine Dinner Party stattfindet. Gegen 23 Uhr angekommen, werde ich herzlich begrüßt. Ich lerne den Familienkreis kennen, erst spät fahren Steve und ich nach einem heiteren Abend heim. Heiligabend sind wir bei anderen Freunden eingeladen: Fred, Betsy und deren Tochter Katie sowie deren englischem Mann Craig. Wir gehen in der Nachbarschaft zur Kirche, wo ein Krippenspiel stattfindet und viele Weihnachtslieder gesungen werden. Anschließend gibt’s ein Festessen. Bei der Bescherung werden wir heillos verwöhnt und gehen Mitternachts satt und zufrieden schlafen. Am ersten Weihnachtsfeiertag sind wir alle gemeinsam bei weiteren Freunden, außerhalb von Minneapolis, in der Nähe des Mississippi eingeladen, wo es ein weiteres Festessen gibt. Während wir dort sind, fängt es an zu schneien, das erste Mal seitdem ich Minneapolis Mitte des Monats verlassen hatte. Die nächsten Tage wird es zunehmend kälter. Der 30. Dezember ist der kälteste Tag des Jahres. Es geht runter auf -21 Grad Celsius. Der „Windchillfactor“ läßt es noch kälter erscheinen, gefühlt sind es -30. Wir verbringen nicht viel Zeit draußen, aber da die Sonne scheint, mache ich kleine Spaziergänge und gehe auch ein paarmal joggen.

Das ist typischer Winter in Minnesota: knackig kalt, aber dafür mit Sonne und klarer Luft.

Das ist typischer Winter in Minnesota: knackig kalt, aber dafür mit Sonne und klarer Luft.

Silvester gehen wir morgens nochmal mit Katie und ihren Eltern Betsy und Fred brunchen. Craig ist inzwischen wieder nach England geflogen. Abends treffe ich Anders, den Sohn einer Schulfreundin meiner Mutter in einer Bar, um das Jahresende 2014 zu begießen. Um Mitternacht bringen die Kellner „Champagne“ und wir stoßen auf das neue Jahr an. 2014 ist vorüber und damit schließe ich den Blog für dieses Jahr…

Mile high and higher around Denver, Colorado

Am 25. November fliege ich nach Denver, um meinen alten Schulfreund Philipp Hummel und seine Frau Kelly, eine gebürtige Amerikanerin, zu besuchen. Philipp lebt dort seit 10 Jahren, die beiden sind seit drei Jahren verheiratet. Sie leben in einem Haus im Süden der Stadt, in der Nähe des „Cherry Creek“, eines Baches, der durch die Stadt führt und sich sein Flußbett tief und schleifenreich in die Erde gegraben hat. Philipp holt mich am Flughafen ab und ich bekomme einen ersten Eindruck von der monumentalen Landschaft: Denver liegt in einer recht platten Hochebene (1.600 Meter hoch = eine Meile, darum auch „Mile high City“ genannt). Die Rocky Mountains sind eine Autostunde entfernt, aber man sieht sie bereits imposant am Horizont, mit schneebedeckten Gipfeln, die teilweise über 4.000 Meter hoch sind.

Der Anblick der "Rockies" kann einen schon vom Hocker hauen;-)

Der Anblick der „Rockies“ kann einen schon vom Hocker hauen;-)

Erstmal gehen wir in der Nachbarschaft seines Hauses ein Bier trinken. Danach (!), als seine Frau Kelly von der Arbeit heim kommt, wollen die beiden joggen und im nahegelegenen Fitnessclub trainieren. Ich füge mich, auch wenn ich das Bier normalerweise lieber hinterher getrunken hätte. Aber es macht Spaß, zusammen Sport zu treiben. Philipp ist hochmotiviert, noch vor Weihnachten ein paar Pfunde zu verlieren. Zur Belohnung nach getaner Pflicht schauen wir gemeinsam einige Episoden der „Trailer Park Boys„, einer in Amerika sehr beliebten kanadischen Serie über einen Trailer Park und seine illustren Bewohner. Nicht unvulgär und mit recht einfachem, derbem Humor versehen, aber durchaus unterhaltsam, vor allem wenn man mit den Charakteren etwas vertrauter ist. Am nächsten Tag müssen die beiden zur Arbeit und ich schaue bei +10 Grad Celsius dem in der Nacht gefallenen Schnee beim zügigen Schmelzen zu.

Philipps und Kellys Garten, der zu dieser Jahreszeit etwas trister ausschaut, wie sie sagen.

Der Garten von Kelly und Philipp, der zu dieser Jahreszeit viel trister, als sonst ausschaut, wie sie sagen.

Ich verbringe den Tag mit Emails und Blogschreiben..abends sind wir auf dem Geburtstag einer Freundin eingeladen, in den sogenannten „Highlands“ von Denver. Da die Gastgeber der Party aus Venezuela stammen, sind viele Südamerikaner zugegen und ich mache einige interessante Bekanntschaften. Auch erhalte ich Kontaktadressen, die mir bei meiner späteren Reise nach Südamerika hilfreich sein können. Obwohl wir am kommenden Tag – Thanksgiving – eine Langlauf-Skitour in den Rocky Mountains geplant haben, schaffen wir es erst zu später Stunde, uns von der Party loszureissen. Thanksgiving ist nach Weihnachten mit der wichtigste Feiertag in den USA und ausnahmsweise haben die meisten Berufstätigen frei, um mit ihren Familien feiern zu können (auch dies wird aber leider immer mehr abgeschafft, nachdem viele Geschäfte ihre traditionellen „Black-Friday-Sales“ auf Thanksgiving vorziehen). Wir lassen den Turkey (Truthahn) im Kühlschrank, pfeifen auf das Shopping und machen uns mit gepackten Skisachen auf den Weg. Es dauert gut anderthalb Stunden, ehe wir unweit der ehemaligen Minenarbeiter-Siedlung Breckenridge den Einstiegspunkt in die mehr oder weniger vorhandene Loipe erreichen und das Auto stehenlassen. Der Parkplatz befindet sich bereits auf über 3.000 Metern Höhe und ich bemerke beim Aufstieg, wie die deutlich dünnere Luft meine Kondition herausfordert.

Langlauf ist meine liebste Sportart, aber hier oben geht einem ziemlich schnell die Puste aus.

Langlauf ist meine liebste Sportart, aber hier oben geht mir ziemlich schnell die Puste aus.

Wir laufen auf einem Wanderpfad, der in sehr konstantem Steigungswinkel den Berg hinaufführt, nachdem diese Piste als ehemalige Eisenbahnstrecke zur Versorgung der Minenarbeiter diente. Die Aussicht ist atemberaubend. Nach gut zwei Stunden wird eine ausgedehntere Pause fällig.

Ein Riegel Schokolade und ein Schluck aus dem Flachmann: Philipp ist reif für ein Schläfchen.

Ein Riegel Schokolade und ein Schluck aus dem Flachmann: Philipp ist reif für ein Schläfchen.

In zunehmener Höhe wird es windiger und kälter. Die Sonne sinkt schnell und wir haben nicht mehr viel Zeit, um unsere Unterkunft, eine historische Hütte in 3.500 Metern Höhe, zu erreichen. Der Himmel zieht sich zu. Hier oben ist die Loipe verweht und ich übernehme für das verbleibende Stück des 6,6 Meilen-Aufstieges die Führung und damit die Aufgabe des Loipenspurers. Es wird zunehmend anstrengender und ich bekomme Kopfschmerzen. Erste Anzeichen der Höhenkrankheit, die mich die nächsten 24 Stunden begleiten wird. Endlich sehe ich die Hütte auf der Paßhöhe. Ich habe die Skier bereits abgeschnallt, da aufgrund der Verwehungen auf den letzten 300 Metern zu wenig Schnee auf der Bahn liegt. Nun versinke ich 50 Meter vor der Hütte in brusttiefen Schneewehen und schaffe es nur, indem ich auf allen Vieren krieche: die Hände auf die Skier stützend und auf den Knien hinterher robbend. Vollkommen erschöpft erreiche ich als Erster, dafür klatschnaß und auf wackeligen Beinen, die Hütte. Ich benötige noch Minuten, um die richtige Kombination des Zahlenschlosses einzugeben. Dann stoße ich die festgefrorene Hüttentür mit letzter Kraft auf und lande in der Hüttenküche, in der ich mich wie in einer Zeitmaschine um 100 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt fühle.

Das "Section House" wurde 1880 für die Minenarbeiter gebaut. Nach zwischenzeitlicher Zerstörung durch einen Brand wurde es neu aufgebaut und steht seit einigen Jahren für Wanderer und Skifahrer als Unterkunft zur Verfügung.

Das „Section House“ wurde 1880 für die Minenarbeiter gebaut. Nach zwischenzeitlicher Zerstörung durch einen Brand wurde es neu aufgebaut und steht seit einigen Jahren für Wanderer und Skifahrer als Unterkunft zur Verfügung. Es gibt 12 Betten und man teilt sich die Hütte, sofern sich mehrere Gruppen eingebucht haben. In dieser Nacht haben wir die Hütte aber für uns.

Gerade als wir es alle zur Hütte geschafft haben, bricht die Dämmerung herein.

Wir haben es geschafft! Lohn aller Mühen: ein herrlicher Abendhimmel am friedlichsten Ort dieser Erde.

Am Ziel – Lohn aller Mühen: ein herrlicher Abendhimmel an einem der friedlichsten Orte dieser Erde.

Nach einigen Fotos im schönen Abendlicht beginnen wir sofort mit den „überlebensnotwendigen“ Arbeiten, die das Übernachten in einer Berghütte ohne fließendes Wasser und ohne Steckdosen erfordert: wir starten ein Feuer im Holzofen und sammeln Schnee, um diesen auf dem Herd zu schmelzen, als Trink- und Waschwasser. Wir kochen Tee und unser Abendessen – Spagetti Carbonara. Ich entledige mich meiner nassen Klamotten und wärme mich, vor allem meine durchgefrorenen Füße, am Feuer auf. So langsam wird es in der Hütte warm und uns wohlig ums Gemüt. Meine Kopfschmerzen jedoch nehmen während der Nacht noch an Intensität zu. Auch ist mir schwindelig und mein Puls und die Atmung deutlich beschleunigt. Das sind die typischen Anzeichen einer leichten bis mittelstarken Höhenkrankheit. Für Nicht-Akklimatisierte „Fischköppe“ wie mich nichts Ungewöhnliches. Lebensgefährlich würde es wahrscheinlich erst weitere 1.000 Meter höher, aber ganz wohl ist mir dennoch nicht. Die halbe Nacht quäle ich mich in der gut geheizten Schlafkammer, in der wir alle gemeinsam schlafen, bekomme schlecht Luft. Als ich schließlich in eine ungeheizte Schlafkammer wechsle, ist die Nase frei und ich schlafe endlich ein wenig – unterbrochen von vielen Wachphasen. Der Wind pfeift ums Haus und es rauscht und knarzt im Gebälk. Am Morgen stehe ich um halb 7 Uhr auf und gehe ins Freie, wo ich den Sonnenaufgang erlebe und die frische Luft meinen glühenden Kopf kühlt. Ich mache Feuer im Ofen und gehe wieder ins Bett, um noch eine Runde weiter zu schlafen.

Die "gute Stube" der Hütte, mit großen Schneeschmelztöpfen auf dem Ofen.

Die „gute Stube“ der Hütte, mit einem der großen Schneeschmelztöpfe auf dem Ofen.

Als ich später endgültig aufstehe, fühle ich mich besser, die frische Luft und ein wenig mehr Schlaf haben mir gut getan. Philipp macht ein herzhaftes, energiereiches Frühstück mit Avocadomuß, Knoblauchscheiben (!) und Rigaer Sprotten auf dunklem Brot (Rezept eines Fitness-Gurus;-). Die Sonne scheint herrlich und durchflutet die Landschaft. Mein Körper spürt neue Kraft und ich bin motiviert für den Abstieg. Wir machen „klar Schiff“ – diesen Ausdruck muss ich Kelly erst einmal erklären – und packen unsere Sachen.

Philipp und ich holen noch einmal Schnee in die Hütte für später anreisende Gäste.

Philipp und ich holen noch einmal Schnee in die Hütte für später anreisende Gäste.

Vor bereits wieder abgeschlossener Hütte machen wir noch ein paar Erinnerungsfotos.

Ein letztes Abschiedsbild an der Hütte.

Ein letztes Abschiedsbild an der Hütte.

Bei frischer Brise und strahlend blauem Himmel sagen wir schließlich der Hütte Adieu und bahnen uns den Weg durch erneut vom Wind verwehte Loipen den Berg hinab. Es ist keine sehr steile Abfahrt aber es geht doch wesentlich leichter voran als bergauf.

Dieser alte "Tank" markiert ungefähr die Mitte der Strecke, er diente früher zur Versorgung der Eisenbahn.

Dieser alte Wasser-„Tank“ markiert ungefähr die Mitte der Strecke, er diente früher zur Versorgung der Eisenbahn(er).

In fast der halben Zeit des Aufstiegs schaffen wir – die herrliche Aussicht noch mehr genießend – den Abstieg und erreichen glücklich den Parkplatz. Dann fahren wir nach Hause, holen auf dem Weg eine lecker nach unseren Wünschen belegte Pizza bei „Wholefoods„, einer Lebensmittelhandelskette für hochwertiges und gesundes Essen (ja, das gibt es in den USA!) und schauen ein paar weitere Episoden der „Trailer Park Boys“. Unser Thanksgiving-Truthahnessen holen wir dann am Wochenende nach.

Philipp bereitet den Turkey zu.

Philipp bereitet den Turkey zu.

Ich darf die Cranberry-Sauce zubereiten und das klappt auch ganz gut. Gemeinsam genießen wir dann am Sonntag unser Festessen. Montags müssen die beiden wieder arbeiten. Ich widme mich wieder meinen „Hobbies“…und besuche unter anderem auch das „Wings Over the Rockies Air & Space Museum“ von Denver.

Schon verrückt, hier wurde sogar ein ganzes Flugzeug mit Weihnachtsleuchten dekoriert!

Schon verrückt, hier wurde sogar ein ganzes Flugzeug mit Weihnachtsleuchten dekoriert!

An einem der Abende nimmt Philipp mich mit in die Stadt, ohne mir zu sagen, was wir machen. Wir gehen ins Kongresszentrum, wo eine Show stattfinden soll. Erst als ich schon im Sessel sitze, begreife ich, um was es sich handelt: die „Trailer Park Boys“ sind in der Stadt! Durch meine solide Einführung in die Serie zuvor kann ich den Humor gut nachvollziehen – auch wenn es schon etwas befremdlich ist, dass der halbe Saal in aller Öffentlichkeit Gras/Haschisch raucht – in Colorado ist der Konsum von Canabis legal! Das finden auch die Trailor Park Boys ziemlich cool…

In den nächsten Tagen überlegen Kelly und ich, was wir für Philipps Geburtstag machen wollen, der diese Woche ansteht. Am Tag davor entscheiden wir uns spontan zu einer „Surprise“-Party. Eilig laden wir einige Freunde ein, uns abends im Restaurant zu treffen. Trotz weniger Rückmeldungen kommen am Ende doch 15 Gäste und die Party ist ein Erfolg.

Ein sichtlich gut gelauntes und hungriges Geburtstagskind!

Links: Ein sichtlich gut gelauntes (und hungriges) Geburtstagskind!

Am letzten Tag vor meinem Rückflug weckt Philipp mich früh – ich soll mit ihm zur Arbeit fahren: auf dem Rad – 19 Kilometer pro Strecke. Na prima…nach kurzem Ringkampf gebe ich mich aber geschlagen und wir machen uns auf den nicht unbeschwerlichen Weg.

Auf dem Weg zu seinem Büro kommen wir am Cherry Creek Reservoir vorbei, an dem walflossenähnliche Rastplätze stehen.

Auf dem Weg zum Büro kommen wir am „Cherry Creek Reservoir“ vorbei, an dem walflossenähnliche Picknickplätze stehen.

Im Büro angekommen bin ich recht erschöpft, es ging zuletzt doch recht steil hinauf. Zurück – bergab – schaffe ich es dann mit weniger Anstrengung und in der halben Zeit. Den Rest des Tages kann ich entspannen, bis Kelly heimkommt und wir beide den monatlichen Galerieabend in der Stadt besuchen. Philipp ist bei der Weihnachtsfeier seiner Firma und kommt später nach.

Der Abend endet feucht-fröhlich in einer mexikanischen Bar, wo wir einige Leute aus Denver kennenlernen.

Der Abend endet feucht-fröhlich in einer mexikanischen Bar, wo wir einige Leute aus Denver kennenlernen. PS: Die beiden Mädels in der Mitte und rechts sind miteinander (!) verheiratet, also bitte keine falschen Annahmen;-)

Am darauf folgenden Samstagmorgen können wir alle ausschlafen. Gegen Mittag bringen Kelly und Philipp mich dann wieder zum Flughafen. Eine turbulenter Denveraufenthalt geht zuende. Ich fliege zurück nach Minneapolis.