Engine failure in Boca Chica

Wir verlassen die Isla Catalina nach zwei Übernachtungen, die nach Abfahrt der Tagesgäste gegen 16 Uhr jeweils recht ruhig sind, mit Kurs auf Boca Chica, einem kleinen Küstenort keine 30 Kilometer vor Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik. Die Überfahrt wird nur zwischen sechs und acht Stunden dauern, wobei wir mangels Windes überwiegend unter Motor fahren.

Da es heiß ist und wir eine kleine Abkühlung brauchen, beschließt Reinhard, auf halber Strecke den Motor auszuschalten, damit wir schwimmen gehen können. Frank und Judy springen ins kühle Meer und genießen das „freie Schwimmen“. Plötzlich wird unser eher beherrschter Skipper, der als Bremer Jung‘ ein eher nordisches Gemüt hat, ungewöhnlich laut: „Wal!“ ruft er aus, „Wal in Sicht!“. Und tatsächlich – etwa zweihundert Meter von uns entfernt sehen wir deutlich zwei Wale auf- und abtauchen. Ich hole das Fernglas und erkenne Buckelwale. Frank holt seine Schnorchelbrille und schwimmt den Walen entgegen.

Ich sehe die ersten Wale in freier Natur.

Ich sehe die ersten Wale in freier Natur.

Leider kommen sie aber nicht näher. Wir warten noch eine Weile, in der Hoffnung, dass sie vielleicht neben uns auftauchen, dann starten wir die Motoren. In meinem gesamten Leben ist es meine erste Begegnung mit diesen großen Säugetieren – ein besonderer Moment. Wie wir von Reinhard erfahren, ziehen in diesen Wochen viele „Humpbacks“, also Buckelwale für die Geburt ihrer Walkälber in die dominikanische Bucht von Samana an der Ostseite der Insel.

Wir fahren die größten Teil dieser Strecke unter Motor und erreichen am frühen Abend die Bucht von Boca Chica. Hier liegt auch ein großer Gastankerhafen, und mehrere Tanker fahren Warteschleifen, um nacheinander anzulegen. Wir halten großen Sicherheitsabstand und finden die schmale Einfahrt zum von einem idyllischen, natürlich geformten Riff und dadurch geschützten Yachthafen „Marina Zar Par“, in dem das Wasser ruhig, türkisblau und glasklar ist, trotz der viele Jetskis, deren Fahrer hier wie die Berserker durch den Hafen preschen, ohne sich um die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 5 Knoten zu kümmern. Etwas entsetzt von dem riskanten Fahrstil der Einheimischen tasten wir uns im Schneckentempo vor, da es hier sehr flache Stellen gibt und wir nicht aufsetzen wollen. Das digitale Lot zeigt mitunter nur 90 Zentimeter Wasser unterm Kiel an. Schließlich steuern wir eine sogenannte Muringboje an, wo wir festmachen, weil das günstiger ist, als an der Pier anzulegen. Ein Docktender kommt mit einem Motorboot und begrüßt uns herzlich: „Where are you from? Deutschland?! Ich liebe Dich!“, ruft der Mann, der sich uns als „Rico“ vorstellt und der uns in den kommenden Tagen immer wieder hilfreich zur Seite stehen wird.

Die Marina Zar Par bei Boca Chica, durch die Luke meiner Kabine aufgenommen.

Die Marina Zar Par bei Boca Chica, durch die Luke meiner Kabine aufgenommen.

Vom Strand her schallen in ohrenbetäubender Lautstärke gleich ein Dutzend verschiedener Musikanlagen mit bass-lastigen Rhythmen. Nach der vergleichsweise ruhigeren Marina in Casa de Campo sind unsere Sinne hier schnell überreizt. Da erst Mittwoch ist, wollen wir uns gar nicht ausmalen, wie es hier am Wochenende zugeht. Am nächsten Tag ist es dagegen ungewöhnlich ruhig und wir erfahren, dass der Vortag ein Feiertag war. Boca Chica liegt ungefähr einen Kilometer entfernt. Es scheint ein Partyort zu sein, eine Art karibischer Ballermann, leider auch ein Magnet für Sextouristen älterer Semester. Als wir am Abend auf dem sogenannten „Strip“ ausgehen, sehen wir viele hellhäutige Renter mit ihren dunkelhäutigen, blutjungen Lokalschönheiten im Arm. Auch wir werden als potentielle Kunden angesprochen und können uns die Damen nur mit Mühe vom Hals halten. Auch viele Straßenjungen halten uns ihre Hand auf oder zeigen auf unsere Schuhe, mit einem Schuhputzkasten in der Hand, in der Hoffnung, unseren Auftrag zu bekommen, gegen einen kleinen Obulus. Andere Jungen verkaufen Kaugummis oder ähnliches. Als ich einem eine Packung abkaufe, will er gleich danach eines geschenkt bekommen. Ich gebe ihm eins ab und gleich stehen ein Dutzend Jungs Schlange, um ebenfalls eins zu kriegen. Am Ende ist die Packung leer, ohne dass ich selbst eins hatte, egal. Die Jungs freuen sich und tanzen im Kreis. Hier und da spendieren wir den Strassenkindern was zu trinken oder zu essen. Ich bezweifele, dass sie die Schule besuchen. Wir werden die Welt damit nicht retten, aber eine kleine Geste ist besser, als gar nichts zu tun.

Nachts brennen in der Nähe Müllberge. Der Geruch von verbranntem Plastik hält bis in die Morgenstunden an. Je nach Windrichtung schließe ich alle Luken in meiner Kabine, da ich ansonsten Hustenanfälle von dem beißenden Gestank bekomme. Ich habe mich nun auch erkältet, da ich mich nachts wegen der Hitze kaum zudecken kann und morgens, nach einsetzender Abkühlung der Luft mehrfach fröstelnd aufwache. Außerdem ist der krasse Kontrast von Außenklima zu vielen klimatisierten Umgebungen, wie manchen Bussen, Banken, Geschäften etc. reines Gift für das Immunsystem. Ich gewöhne mir an, mir frühmorgens etwas überzuziehen, sobald ich erstmals wach werde. Ein Fläschchen aus Deutschland mitgebrachtem Meditonsin hilft meiner Genesung binnen weniger Tage. Allein mein Husten zeigt sich etwas hartnäckiger und klingt erst nach über einer Woche ab.

Einen dieser Tage nehmen wir den örtlichen Bus nach Santo Domingo, um das koloniale Erbe zu besichtigen. Es stehen noch einige Ruinen aus den ersten Jahren der Kolonialisierung Anfang des 16. Jahrhunderts. Die Kathedrale, deren Bau sich über einige Jahrzehnte hinweg zog, da der spanische Architekt und die Bauarbeiter nach Bekanntwerden von Goldentdeckungen in Mexiko dorthin abhauten, ist dagegen in gutem Zustand und Einsatz.

Die Kathedrale von Santo Domingo.

Die Kathedrale von Santo Domingo.

In einem Gebäude zu Ehren des Militärs finden wir Geschenke der ehemaligen Diktatoren Franco und Hitler, die uns ein Touristenführer stolz präsentiert, auch wenn wir ihm versichern, dass wir keine Freunde dieser Bekanntheiten sind. Er bestätigt zu unserer Erleichterung, dass er auch findet, dass das keine guten Menschen waren.

Am 29. Januar wollen wir, eine Woche nach Ankunft in Boca Chica, weitersegeln. Unser Ziel: Las Salinas, liegt rund 80 Seemeilen entfernt. Wir machen alles abfahrbereit, erhalten eine Ausfahrgenehmigung, ein Despacho, für 16 Uhr und machen die Leinen los.

Zunächst scheint alles normal, wir überwinden die flachen Stellen und befinden uns bereits an der Hafenausfahrt. Plötzlich ertönt im Boot ein durchgehender Alarmton, der eine erhöhte Temperatur in einem der jeweils doppelten Kühlungskreisläufen der beiden Motoren ankündigt. Nach kurzer Beratung schalten wir den linken Motor ab. Wir sind zwar noch manövrierfähig, aber nun deutlich eingeschränkt. Da wir nicht das Risiko auf uns nehmen wollen, mit nur einem Motor die gesamte Strecke zu fahren – immerhin könnte dieser theoretisch auch ausfallen – drehen wir um. Wir legen wieder an der gleichen Mooring an und Reinhard inspiziert den noch heißen Motor. Der geschlossene Kühlwasserkreislauf hat sich komplett in den Maschinenraum entleert. Er findet auch schnell die Ursache: eine kleine Schelle ist gebrochen und deswegen ist ein Kühlwasserschlauch vom Druck abgeplatzt. Er schöpft die Kühlflüssigkeit aus dem Maschinenraum, findet in seinen Ersatzteilen die passende Ersatzschelle und montiert sie, sobald der Motor etwas abgekühlt ist. Dann füllt er neue Flüssigkeit ein.

Reinhard arbeitet im Maschinenraum, in den er komplett hineinklettern muss.

Reinhard arbeitet im Maschinenraum, in den er zeitweilig komplett hineinklettern muss.

Wir starten die Maschine und machen einen Testlauf: der Motor läuft eine halbe Stunde problemlos, er bleibt dicht und die Temperatur bleibt im Normalbereich. Das war nochmal glimpflich. Ein kapitaler Motorschaden könnte uns wochenlang vor Ort festhalten und auch die Kosten für einen neuen Motor sind nicht ohne: Reinhard meint, es seien an die 14.000 Euro, die der Hersteller für den 1-Liter-Dreizylinderdiesel verlangt. Ich bin erstaunt, wie deutlich der Preis von dem eines PKW-Motors abweicht. Die Hersteller lassen sich die „Marinisierung“ der Aggregate augenscheinlich gut bezahlen!

Da wir nach 18 Uhr nicht mehr auslaufen dürfen und auch eine neue Genehmigung brauchen – kurz nach unserer Rückkehr taucht schon die Wasserschutzpolizei auf und fragt uns nach dem Grund für unser Umdrehen – müssen wir die Nacht bleiben und gehen nochmal ein Bier in Boca Chica trinken. An unserem „Stammkiosk“ kostet die Literflasche gerade mal 120 Pesos, das sind 2,40 Euro, samt vier Bechern und der Möglichkeit, diese direkt vor Ort zu konsumieren. Es stehen Plastikstühle bereit und wir beobachten die abendliche Szenerie des Strips.

Am nächsten Nachmittag gegen 14 Uhr laufen wir aus. Wir setzen zwar gleich die Genua, als wir den Hafen hinter uns gelassen haben, zunächst lassen wir jedoch die Motoren an, die nun zuverlässig, ohne Überhitzung, ihren Dienst tun. Die neue Schelle hält dem Betriebsdruck von einem bar stand. Der Wind ist noch recht schwach, da wir in „Abdeckung“ einer Landzunge fahren. Als wir dann aber mehr Abstand zur Küste haben, kommt dann deutlicher stärkerer Wind auf. Wir reffen das Großsegel zweifach. Der Katamaran hat bereits an die 11,5 Knoten drauf, selbst mit Reff. Bei Windstärken von rund 28 Knoten, wie sie jetzt herrschen, wären wir auch mit ungerefftem Segel nicht schneller. Ich ziehe meine Rettungsweste an. Es gibt auch für jeden der Crew einen Gurt zum „Einpicken“, damit man nicht von Bord gepustet wird. Auf Deck ist mir das jetzt sicherer, wenn wir an den Segeln hantieren. Es wird langsam dunkel und wir schießen durch die See. Wir werden unser Ziel, die Bucht von Las Salinas, viel schneller, als erwartet erreichen. Für eine knappe Stunde übernehme ich das Steuer. Dann lege ich mich für eine Stunde hin. Gegen ein Uhr morgens stehe ich wieder auf. Wir bereiten unsere Ankunft vor. Da die Bucht sehr flache Stellen hat, setze ich mich vorne auf einen der Delfinsitze am Bug und halte nach Tonnen, Fischernetzen und Untiefen Ausschau. In Schleichfahrt bewegen wir uns in die wenig beleuchtete Bucht hinein, finden eine handvoll anderer Boote vor Anker und suchen uns eine sichere Stelle, wo wir unseren Anker setzen. Dann gehen wir schlafen, es ist 2.30 Uhr am Morgen.

Wir erwachen am Morgen und sehen uns die Bucht genauer an. Der Ort scheint wesentlich verschlafener zu sein, als Boca Chica. Auf der westlichen Seite ragen hohe Berge am Horizont hervor. Nördlich sehen wir hohe Dünen, wie sich herausstellt, die höchsten der Karibik.

Die Berge am Horizont von Las Salinas, einem Ort, an dem früher Meersalz gewonnen wurde, erinnern eher an skandinavische Küstengewässer...

Die Berge am Horizont von Las Salinas, einem Ort, an dem früher Meersalz gewonnen wurde, erinnern fast schon an skandinavische Küstengebiete…

Wir suchen die örtliche Meldestelle der Marine und melden uns mit unserem „Despacho“. Für jede Ankunft und Abfahrt muss ein Segler sich das Formular ausstellen lassen und hierfür die Pässe der Besatzung vorlegen. Bürokratie pur. In Europa und den USA kann man als Privatperson ohne solche Formalitäten Häfen anlaufen und verlassen.

Wir besteigen die Dünen und betrachten die Aussicht. Später gehen wir im einzigen Fischrestaurant des Dorfes essen und trinken, wie die Einheimischen, vor einem der Kioske ein Bierchen. Auch hier drehen sie die Musik am Abend ohrenbetäubend auf. Aber die Menschen im Örtchen sind freundlich und hilfsbereit. Am Morgen des 1. Februar lichten wir den Anker und segeln und motorn die kurze Strecke von 35 Seemeilen, teilweise aber ohne Wind, nach Barahoda. Hier will ein serbisch-spanisches Pärchen zu uns stoßen.

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