Tanker on Collision course

In Barahona verlässt Frank die RUNAWAY und Gordana und Santiago kommen an Bord. Dies ist der letzte Hafen, in dem wir ein offizielles Despacho für die Ausreise in internationale Gewässer bekommen können und daher muss die Crewliste nun auch genau die Personen aufführen, die tatsächlich mit der RUNAWAY die Dominikanische Republik verlassen. Dies werden wir zwar erst in einigen Tagen tun, da wir noch die Isla Beata und die Bahia de las Aguilas anfahren wollen, aber damit wir nicht wieder zurück fahren müssen, besorgen wir unser Despacho schon jetzt.

Abendliche Industrienostalgie in Barahona

Abendliche Industrienostalgie im Hafen von  Barahona

Wir nehmen Proviant auf: Wasser, Milch, Säfte, Cola, Bier, Wein, Rum, Brot, Butter, Butter, Salami, Käse, Mangos, Tomaten, Paprika, Bohnen, frisches Fleisch, Nudeln, Reis, Kartoffeln, Konserven, Kekse, Chips etc. Der Einkauf kostet 200 Dollar, das Trinkwasser für den Bootstank und die Kraftstoffe für die Bootsmotoren sowie den Außenborder kommen extra. Mit diesen Vorräten hoffen wir für die nächsten Stationen gut vorgesorgt zu haben, da wir nicht wissen, wie gut man an diesen teils entlegenen Inseln und Stränden einkaufen kann. Dennoch wollen wir unterwegs versuchen, zu fischen bzw. von Einheimischen Fisch, Obst etc. kaufen zu können. Unsere Wäsche haben wir in einer Wäscherei abgegeben, deren Besitzer uns zugesagt hat, diese bis zum kommenden Morgen um 7 Uhr fertig zu haben, da wir frühmorgens loswollen, um die Isla Beata möglichst noch im Tageslicht zu erreichen. Wir lassen uns mehrfach versichern, dass dies auch klappt, da wir unser Despacho für 8 Uhr ausstellen lassen. Die „Armada“ wacht scharf darüber, ob man auch wirklich die Zeiten einhält und wer ein- und ausfährt. Am Morgen des 4. Februar stehen Reinhard und ich um 6.30 Uhr auf und nehmen das Dinghy, um zu Wäscherei zu fahren. Und tatsächlich, draussen vor der Tür wartet Pio, der sich stolz als „Americano“ bezeichnet, mit zwei Wäschesäcken. Bevor wir ablegen können, durchsucht die Armada noch einmal mit zwei Uniformierten unser Boot.

Alltag für Segler in der Dominikanischen Republik: die Armada kommt an Bord und schaut nach dem Rechten.

Alltag für Segler in der Dominikanischen Republik: die Armada kommt an Bord und schaut nach dem Rechten.

Wir erhalten unser Despacho für internationale Gewässer, zahlen zwanzig Dollar dafür, zehn mussten wir pro Person bereits gestern für den Ausreisestempel berappen, und lichten den Anker. Zunächst haben wir kaum Wind, aber je mehr wir aus der Bucht von Barahona kommen, umso mehr füllen sich unsere Segel, so dass wir bald wieder ordentliche Fahrt aufnehmen und dann auch viel früher, als erwartet, noch vor Sonnenuntergang die Isla Beata erreichen, eine abgelegene Insel am südlichsten Zipfel der Dominikanischen Republik. Schon vom Boot aus sieht es hier wunderbar idyllisch aus – und glücklicherweise ist weit und breit keine Plastikstrandliege zu sehen, wie auf der Isla Catalina, nur wirklich primitive Fischerhütten aus Wellblech und Holz, Palmen und Felsen. Wir haben gehört, dass hier Iguanas zu finden sind und die Langusten sich im Überfluss im Wasser tummeln. Am nächsten Morgen besichtigen wir den Strand und treffen auf die einheimischen Fischer. Das ganze Dörfchen ist voller zahmer Iguane, die sich zum Teil füttern lassen und träge in der Sonne faulenzen. Die Insel ist größtenteils recht schroff und daher ein guter Lebensort für sie.

Iguane leben hier in friedlicher Eintracht mit den Fischern und deren Haustieren.

Iguane leben hier in friedlicher Eintracht mit den Fischern und deren Haustieren.

Wir erkunden das Gebiet hinter den Fischerhütten und finden Reste von betonierten Gebäuden, die zu einem Gefängnis gehörten, das hier zu Zeiten der Diktatur stand und in dem politische Gegner gepeinigt wurden, und wohl auch zu Tode kamen. Einem Fischer zufolge wurden einige von ihnen auf der Insel verscharrt. Anmerkung: Das kubanische Guantanamo liegt nicht weit von hier… Am Abend grillen wir Langusten am Strand. Wir haben den Fischern eine ordentliche Menge abgekauft und sie helfen uns bei der Zubereitung: die Languste wird auf ein Brett gelegt, dann hält einer eine Machete längs über den Rücken, auf die ein anderer mit einem Knüppel schlägt, um die Languste der Länge nach zu teilen. Man reibt das Fleisch mit Butter und Knoblauch ein und legt das Tier dann auf den Grill, bis es gar ist. Wir genießen die leckere Delikatesse in einmaliger Szenerie, am Lagerfeuer eines karibischen Inselstrandes. Der Wind ist lau. Wir haben Getränke in der Kühlbox und teilen Rum und Wein mit den Fischern. Zufrieden und satt laufen wir nachts bei hellem Mondschein unter den Palmen zurück zum Schlauchboot und setzen zur RUNAWAY über, um schlafen zu gehen. Am Morgen des 6. Februar segeln wir Richtung Westen weiter, zur Bucht Bahia de las Aguilas, die Gordana und Santiago bereits kennen, da sie in dieser Gegend wochenlang campierten. Bereits vom Wasser aus ist es traumhaft. Ein endloser halbkreisförmiger Strand, türkisblaues Wasser und kaum eine Menschenseele. Das Gebiet gehört zu einem Naturschutzpark.

Vielleicht einer der schönsten, abgelegenen, aber doch erreichbaren Strände der Welt.

Vielleicht einer der schönsten, abgelegenen, aber doch erreichbaren Strände der Welt.

Wir ankern unweit vom Strand und gehen schnorcheln. Trotz Abgelegenheit scheinen uns nicht so viele Fische zugegen zu sein. Dagegen finden wir viele Fischreusen. Möglicherweise wird die Bucht überfischt. Viele Menschen leben hier vom Fischfang, es herrscht ein harter Konkurenzkampf um Ressourcen. Was werden sie tun, wenn es nicht mehr genug für alle gibt? Der Tourismus ist in diesem Winkel des Landes, unweit von der Grenze zu Haiti, noch recht unterentwickelt. Für uns kein Nachteil. Die Bucht schillert in paradiesischen Farben. Weit und breit kein anderes Boot. Nur wenige andere Menschen liegen entfernt am Strand. Ich gehe an Land und laufe den sandigen Weg oberhalb des Strandes entlang, barfuß. Hier und da trete ich in kleine stachelige Dornen. Plötzlich fährt mir ein scharfer Stich in die Fußfläche – ich habe mir einen spitzen Stein in den Fuß gerammt. Der Spaziergang nimmt damit ein abruptes Ende und ich humpele zum Strand hinunter, um die Wunde im Salzwasser auszuwaschen. Das brennt. Zurück auf dem Boot wird die Wunde mit Isopropenol behandelt und mit einem großen Pflaster versehen. So geht’s erstmal und glücklicherweise tut auf Auftreten nicht sehr weh. Am nächsten Tag kann ich sogar Gordana und Santiago auf ihrem Fußmarsch zum Dorf begleiten, wo sie einige Bewohner kennen. Wir laufen durch eine sehr trockene, von einem dichten Kakteenwald gesäumte Landschaft, mit „mondgestein“-artigen Felsen, die messerscharf aufragen und das Laufen abseits der Straße unmöglich machen. Hier gibt es Kakteenarten, die sonst nirgends zu finden sind.

Erstaunliche Kakteenformen.

Erstaunliche Kakteenformen.

Im Dorf, dass neben tiefen, höhlenartigen Überhängen liegt, unter denen die Bewohner bis vor Kurzem noch wohnten, bis die Regierung sie aus Naturschutzgründen umgesiedelt hat, stehen wenige Häuser, ein Restaurant mit Schilfdach. Wir besuchen ein paar Dorfbewohner, die in ärmlichen Hütten und zum Teil auch in Zelten wohnen. Sie begrüßen uns herzlich und wollen von Gordana und Santiago wissen, wie lange sie diesmal bleiben. Ich besichtige Strand und Höhlen. Kaufe im Restaurant eine Portion „Tostones“, das sind frittierte Plantanen, die hier überall, so wie bei uns Pommes Frites, verkauft werden und als günstige Beilage gereicht werden. Wir machen uns auf den Rückweg zum Boot und essen dort die Tostones als Aperitif zum Sundowner.

Pure Idylle im staubtrockenen Naturschutzgebiet von Bahia de las Aguilas.

Pure Idylle im staubtrockenen Naturschutzgebiet der Bahia de las Aguilas.

In warmroten Farben verabschiedet sich die Sonne auf der Meeresoberfläche. Am nächsten Morgen hat nicht weit von uns ein anderer Katamaran geankert. Reinhard fährt mit dem Dinghy rüber und erfährt von den Amerikanern an Bord, dass sie nach Osten wollen und auch gleich wieder weiterfahren. Sie haben Internet an Bord und so können wir die aktuelle Wettervorhersage erfahren. Unsere nächste Station ist eine Insel südlich von Haiti, Ile a Vache. Das Festland wollen wir nicht unbedingt betreten. Wir haben in den vergangenen Wochen unterschiedliche Infos zu Haiti erhalten. Teils abratend, teils beschwichtigend. Einig ist man sich aber darüber, dass die Ile a Vache ein sicherer Ort für Segler ist und somit für uns ein guter Zwischenhalt auf dem Weg nach Jamaika. Am Morgen des 9. Februar lichten wir den Anker und nehmen Kurs auf Haiti. Es sind gut 120 Seemeilen zurückzulegen, für die wir bei dieser Windlage über 24 Stunden benötigen werden. Wir segeln bei leichtem Wind den Tag hindurch. Dann flaut der Wind ab und wir müssen die Motoren starten. Ich sehe kaum ein anderes Schiff. Wegen einer Regenwolke, die uns von hinten überfliegt und einige Böen mit sich bringt, werde ich kurz geduscht und das Boot nimmt durch sprunghaft an Fahrt zu. Die Genua bleibt stehen, bis der Wind während meiner Nachtwache gegen drei Uhr morgens zu achterlich und schwach ist, weswegen ich die Genua einrolle. Ich muss den Kurs mehrfach nach Norden hin korrigieren, da wir durch Wellengang oder Strömung abdriften. Gegen 5.30 Uhr morgens übernimmt Reinhard wieder das Steuer und ich gehe schlafen. Am späten Vormittag nähern wir uns der Ile a Vache. Sie ist von zahlreichen Riffs geschützt, auf die in der Vergangenheit viele Schiffe und Boote aufgefahren, zerschellt und gesunken sind. Die ganze Umgebung ist ein Schiffsfriedhof, für Taucher und Schnorchelfreunde natürlich ein Paradies! Wir haben mit modernem GPS-Systemen und genauen Karten wenig Probleme, die gefährlichen Untiefen zu umfahren. Dafür müssen wir höllisch aufpassen, nicht in eines der vielen Fischernetze und Reusen zu fahren, die hier gefühlte alle 100 Meter ausgelegt sind. Unsere ausgeworfene Angelleine reißt dann auch abrupt ab: der Haken hat sich in einem Netz verfangen. Damit nicht genug: schlagartig kommen wir quasi zum Stehen. Unser rechtes Ruder sind ebenfalls an einem Netz hängengeblieben. Keine Chance – Reinhard muss ins Wasser und es per Hand von den Netzen befreien. Dann geht’s vorsichtig weiter, wobei wir noch Dutzenden Netzen ausweichen müssen, bis wir die schmale Einfahrt zur Bucht „Port Morgan“ erreichen, wobei nun ein unerbittlicher Platzregen einsetzt. Dessen ungeachtet nähern sich nun aus allen Richtungen Einheimische in vielerlei Booten, nicht wenige in sogenannten „Dugouts“, ausgehöhlten Baumstämmen, um uns zu begrüßen und uns im gleichen Atemzug ihren Namen zu nennen und ihre Dienste anzubieten. Wir geraten angesichts der vielen, uns von allen Seiten gleichzeitig ansprechenden Menschen, die sich auch noch an der RUNAWAY festhalten, während wir eigentlich versuchen, unser Ankermanöver durchzuführen, etwas in Bedrängnis. Als wir aber von einem anderen Segler ermutigt werden, uns an eine der freien Mooring-Bälle festzumachen, nehmen wir dies erleichtert in Anspruch und haben dann auch Zeit, uns den Einheimischen zuzuwenden. Für den Moment haben wir keinen Bedarf, aber wir schreiben uns einige ihrer Nummern auf, um sie anrufen zu können, falls wir irgendetwas benötigen. Dessen ungeachetet werden in den kommenden Tagen noch Dutzende Anbieter von Fisch, Langusten, Obst, Wäschereidiensten, etc. vorbeikommen und uns auch leicht „auf den Wecker gehen“. Dennoch versuchen wir alle mit Respekt zu behandeln und auch hier und da etwas zu kaufen bzw. etwas zu geben. Immerhin sind wir nun in Haiti, einem der wirklich armen Ländern der Welt, was sich nach der großen Erdbebenkatastrophe von 2009 in der Hauptstadt von Port-Au-Prince noch extrem verschärft hatte und eine weltweite Hilfsaktion in Gang setzte, die allerdings sehr schleppend anlief und vieles Leid nicht verhindern bzw. beseitigen konnte. Wir können nicht allen Menschen helfen, aber hier und da schon. Schwierig wird es bei den Kinder, die häufig um „Schulgeld“ bitten, das sie wohl auch tatsächlich brauchen. Allerdings treten sie meist in Gruppen auf und wenn einer was bekommt, will auch der andere etwas und sobald sich herumspricht, dass es etwas gibt, kommen noch mehr. Ein Dilemma. Als der Regen aufgehört hat und wir trockene Sachen anhaben, können wir die Schönheit der Bucht genießen. Sie ist von hohen Hügeln überragt, auf denen die Kühe, von denen die Insel ihren Namen hat, grasen. Über Palmen und dann auch gleich hinter uns das Hotelressort „Port Morgan“, das mit einzelnen weißgetünchten Hütten sehr ansprechend aussieht. Wir gehen an Land und besichtigen das Dorf. Durch den Regen sind die Wege aufgeweicht, keine einzige geteerte Strasse und entsprechend auch keine Autos. Überall bescheidene, aber durchaus ansprechend bunte Hütten. Was uns erstaunt: überall sind moderne Solar-Strassenlaternen aufgestellt. Ein Projekt der Regierung, die Insel attraktiver für den Tourismus zu machen. Viele Bewohner kommen auf uns zu und begrüßen uns, erneut werden Dienste angeboten. Man führt uns über den Dorfplatz, dann zu einen Bäckerei, in der gerade gebacken wird. Wir kaufen sofort zwei Beutel frische Baguettes. Dann gehen wir zum Boot zurück, für heute reicht es. Am nächsten Tag erkunden wir weitere Teile der Umgebung, laufen über matschige Wege zu einem schönen Strand, an dem ein gehobenes Hotelressort liegt.

Auf dem Steg des nahegelegenen Hotelresorts..

Auf dem Steg des nahegelegenen Hotelresorts..

Da die Sonne langsam untergeht und die Mücken rauskommen, müssen wir uns beeilen, zurückzukommen. Wir kaufen wieder ein paar Langusten von einem Fischer, der zu unserem Boot kommt und braten sie in der Pfanne. Es gibt kein richtiges Geschäft auf der Insel, nur ein Getränkeladen, die Bäckerei, einige Bars und sogenannte Restaurants, die meist bei jemandem Zuhause auf Bestellung eröffnet werden. Viele wollen für uns kochen. Wir müssen viele vertrösten. Nicht einfach, ein westlicher Tourist in einem solchen Land zu sein. Dazu kommt, dass wir alle kaum Französisch sprechen und viele hier kein Englisch, geschweige denn Deutsch. Ab und an kann jemand Spanisch. Viele scheinen auch Analphabeten zu sein. Wir merken ganz konkret, wie Bildungstand und Wohlstand eines Landes unmittelbar miteinander verknüpft sind. Dass die Regierung in Haiti in den letzten Jahrzehnten nicht sehr stabil und vorausplanend war und die vielen Katastrophen, die das Land wie ein Fluch heimzusuchen scheinen, hilft auch nicht gerade. Die HIV-Rate (Dunkelziffer könnte weit höher liegen) in Haiti ist so hoch wie in Teilen Afrikas, der Gebrauch von Kondomen nicht Standard, sei es mangels Geld oder Verfügbarkeit oder auch Überzeugung. Viele Mädchen werden schwanger, sobald sie die Pubertät erreichen. Ungeachtet vieler Versuchen der Missionierung Haitis seitens christlicher, aber auch anderer Religionen, bleibt der Voodoo-Kult integraler Bestandteil der Kultur. Wir hören Voodoo-Musik, erleben aus der Ferne Voodoo-Rituale und wie selbst Kinder in jungen Jahren stark auf diese Einflüsse reagieren. Ohne darüber Urteil fällen zu wollen, so empfinden wir doch, dass ein solches Umfeld der Modernisierung des Landes nicht gerade förderlich ist. Der Besuch eines lokalen Wochenmarktes auf der Insel ist für uns höchst interessant, erinnert mich aber gleichzeitig sehr an Afrika.

Das Angebot auf dem Wochenmarkt ist überschaubar. Wenige Meter entfernt wird ein Rind geschlachtet. Klarer kann einem der Kontrast zu unserer westlichen Welt kaum vor Augen geführt werden.

Das Angebot auf dem Wochenmarkt ist überschaubar. Wenige Meter entfernt wird ein Rind geschlachtet. Die zum Verkauf gebotenen Tiere sehen sehr unterernährt aus. Klarer kann einem der Kontrast zu unserer westlichen Welt des Überflusses kaum vor Augen geführt werden.

Am Sonntag, den 15.2., meinem 41. Geburtstag, stechen wir erneut in See. Diesmal mit Kurs auf Jamaika. Der vorgesagte starke Wind aus Nordost bleibt lange aus. Reinhard gibt schon fast die Hoffnung auf und holt die Segel ein. Erst als wir unter Motor den westlichsten Zipfel der haitischen Insel passieren, setzt schlagartig der angekündigte Wind ein. Mit dreifach gerefften Segeln und Spitzengeschwindigkeiten von über 10 Knoten peitschen wir bei Windspitzen von bis zu 35 Knoten durch die aufgebrachte See. Dutzendfach brechen hohe Wellen über das Cockpit und duschen denjenigen der gerade Wache hat. Ich gehe früh ins Bett, um ausgeruht für meine Wache zu sein. Gegen elf Uhr, während Judys Wache, befinden wir uns auf Kollisionskurs mit einem Tanker, der noch 10 Seemeilen entfernt ist, sich allerdings mit hoher Geschwindigkeit nähert. Reinhard funkt über den internationalen „Distress“-Kanal 16 und erreicht den Kapitän, der uns nach unserer Position fragt. Reinhard gibt ihm die Koordinaten durch und wartet auf Bestätigung. Der Tankerkapitän, der einen russischen Akzent zu haben scheint, fragt erneut: „What is your position?“ Reinhard wiederholt die Daten. Obwohl er uns versteht und wir über AIS-Kennung verfügen, die alle Schiffe über Satelit sichtbar macht, kann der Russe uns auf seinen Instrumenten nicht finden. Er fragt noch einmal. Reinhard wird ungehalten: „I am giving you our position for the third time now! We are on collision course!” Endlich wird der Russe wach: “OK, I can see you. No worries. I will change our course to starboard. No worries. You stay on your course.“ Reinhard kann nicht zurückhalten, dass wir als Segelboot nur begrenzt auf Geschwindigkeit und Kurs Einfluß haben, aber die Anspannung weicht nun von ihm. Wir sind noch in ausreichendem Abstand, keine kritische Situation, aber als Segelboot kann man einem Tanker, der zu nahe kommt, fast nicht mehr ausweichen. Ich dokumentiere das Geschehen mit Kamera und gehe schlafen.

Der Tanker (grüner Pfeil) hat seinen Kurs geändert. Wir (rotes Fadenkreuz ganz oben) können unbesorgt weitersegeln.

Der Tanker (grüner Pfeil) hat seinen Kurs geändert. Wir (rotes Fadenkreuz ganz oben) können unbesorgt weitersegeln.

Ich trete meine Nachtwache um 2 Uhr morgens an. Reinhard gibt mir sein Ölzeug und prompt werde ich auch mehrfach geduscht. Die Nacht ist stockduster, kein Mond weit und breit und ich suche den Horizont nach Schiffen ab. Weil Reinhard die ganze Nacht auf Standby ist, mache ich statt zwei Stunden drei und wecke ihn um 5 Uhr. Dann gehe ich wieder schlafen.

Als ich erwache, können wir bereits die Küstenlinie von Jamaika sehen. Gegen 13 Uhr erreichen wir die Marina von Port Antonio. Nun erwarten uns die üblichen Prozedere: Besuch von Hafenpolizei, Quaratäneamt, Immigrationsbehörde, Hafenmeister etc. Da wir innerhalb der Bürozeiten ankommen, verlangen die Behörden hier keine Gebühren. Nur für den Liegeplatz zahlen wir 58 US-Dollar die Nacht. Am nächsten Morgen gehen Gordana und Santiago von Bord, sie wollen Jamaika weiter über Land erkunden. Wir besichtigen den Ort und kaufen ein. Haben in Haiti fast alle Reserven aufgebraucht. Ich mache zwei Ladungen Wäsche fertig. Wir fühlen uns, als seien wir in die Zivilisation zurückgekehrt: es gibt Supermärkte, Autos, Strassen. Port Antonio liegt umgeben von Regenwald. Es regnet hier häufiger. In den Strassen grüßen die Rastamänner, bieten dies und jenes zum Verkauf. Reggae-Musik überall. Die allgemeine Stimmung hier ist fröhlich, beschwingt: „Welcome to Jamaica!“

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