Mile high and higher around Denver, Colorado

Am 25. November fliege ich nach Denver, um meinen alten Schulfreund Philipp Hummel und seine Frau Kelly, eine gebürtige Amerikanerin, zu besuchen. Philipp lebt dort seit 10 Jahren, die beiden sind seit drei Jahren verheiratet. Sie leben in einem Haus im Süden der Stadt, in der Nähe des „Cherry Creek“, eines Baches, der durch die Stadt führt und sich sein Flußbett tief und schleifenreich in die Erde gegraben hat. Philipp holt mich am Flughafen ab und ich bekomme einen ersten Eindruck von der monumentalen Landschaft: Denver liegt in einer recht platten Hochebene (1.600 Meter hoch = eine Meile, darum auch „Mile high City“ genannt). Die Rocky Mountains sind eine Autostunde entfernt, aber man sieht sie bereits imposant am Horizont, mit schneebedeckten Gipfeln, die teilweise über 4.000 Meter hoch sind.

Der Anblick der "Rockies" kann einen schon vom Hocker hauen;-)

Der Anblick der „Rockies“ kann einen schon vom Hocker hauen;-)

Erstmal gehen wir in der Nachbarschaft seines Hauses ein Bier trinken. Danach (!), als seine Frau Kelly von der Arbeit heim kommt, wollen die beiden joggen und im nahegelegenen Fitnessclub trainieren. Ich füge mich, auch wenn ich das Bier normalerweise lieber hinterher getrunken hätte. Aber es macht Spaß, zusammen Sport zu treiben. Philipp ist hochmotiviert, noch vor Weihnachten ein paar Pfunde zu verlieren. Zur Belohnung nach getaner Pflicht schauen wir gemeinsam einige Episoden der „Trailer Park Boys„, einer in Amerika sehr beliebten kanadischen Serie über einen Trailer Park und seine illustren Bewohner. Nicht unvulgär und mit recht einfachem, derbem Humor versehen, aber durchaus unterhaltsam, vor allem wenn man mit den Charakteren etwas vertrauter ist. Am nächsten Tag müssen die beiden zur Arbeit und ich schaue bei +10 Grad Celsius dem in der Nacht gefallenen Schnee beim zügigen Schmelzen zu.

Philipps und Kellys Garten, der zu dieser Jahreszeit etwas trister ausschaut, wie sie sagen.

Der Garten von Kelly und Philipp, der zu dieser Jahreszeit viel trister, als sonst ausschaut, wie sie sagen.

Ich verbringe den Tag mit Emails und Blogschreiben..abends sind wir auf dem Geburtstag einer Freundin eingeladen, in den sogenannten „Highlands“ von Denver. Da die Gastgeber der Party aus Venezuela stammen, sind viele Südamerikaner zugegen und ich mache einige interessante Bekanntschaften. Auch erhalte ich Kontaktadressen, die mir bei meiner späteren Reise nach Südamerika hilfreich sein können. Obwohl wir am kommenden Tag – Thanksgiving – eine Langlauf-Skitour in den Rocky Mountains geplant haben, schaffen wir es erst zu später Stunde, uns von der Party loszureissen. Thanksgiving ist nach Weihnachten mit der wichtigste Feiertag in den USA und ausnahmsweise haben die meisten Berufstätigen frei, um mit ihren Familien feiern zu können (auch dies wird aber leider immer mehr abgeschafft, nachdem viele Geschäfte ihre traditionellen „Black-Friday-Sales“ auf Thanksgiving vorziehen). Wir lassen den Turkey (Truthahn) im Kühlschrank, pfeifen auf das Shopping und machen uns mit gepackten Skisachen auf den Weg. Es dauert gut anderthalb Stunden, ehe wir unweit der ehemaligen Minenarbeiter-Siedlung Breckenridge den Einstiegspunkt in die mehr oder weniger vorhandene Loipe erreichen und das Auto stehenlassen. Der Parkplatz befindet sich bereits auf über 3.000 Metern Höhe und ich bemerke beim Aufstieg, wie die deutlich dünnere Luft meine Kondition herausfordert.

Langlauf ist meine liebste Sportart, aber hier oben geht einem ziemlich schnell die Puste aus.

Langlauf ist meine liebste Sportart, aber hier oben geht mir ziemlich schnell die Puste aus.

Wir laufen auf einem Wanderpfad, der in sehr konstantem Steigungswinkel den Berg hinaufführt, nachdem diese Piste als ehemalige Eisenbahnstrecke zur Versorgung der Minenarbeiter diente. Die Aussicht ist atemberaubend. Nach gut zwei Stunden wird eine ausgedehntere Pause fällig.

Ein Riegel Schokolade und ein Schluck aus dem Flachmann: Philipp ist reif für ein Schläfchen.

Ein Riegel Schokolade und ein Schluck aus dem Flachmann: Philipp ist reif für ein Schläfchen.

In zunehmener Höhe wird es windiger und kälter. Die Sonne sinkt schnell und wir haben nicht mehr viel Zeit, um unsere Unterkunft, eine historische Hütte in 3.500 Metern Höhe, zu erreichen. Der Himmel zieht sich zu. Hier oben ist die Loipe verweht und ich übernehme für das verbleibende Stück des 6,6 Meilen-Aufstieges die Führung und damit die Aufgabe des Loipenspurers. Es wird zunehmend anstrengender und ich bekomme Kopfschmerzen. Erste Anzeichen der Höhenkrankheit, die mich die nächsten 24 Stunden begleiten wird. Endlich sehe ich die Hütte auf der Paßhöhe. Ich habe die Skier bereits abgeschnallt, da aufgrund der Verwehungen auf den letzten 300 Metern zu wenig Schnee auf der Bahn liegt. Nun versinke ich 50 Meter vor der Hütte in brusttiefen Schneewehen und schaffe es nur, indem ich auf allen Vieren krieche: die Hände auf die Skier stützend und auf den Knien hinterher robbend. Vollkommen erschöpft erreiche ich als Erster, dafür klatschnaß und auf wackeligen Beinen, die Hütte. Ich benötige noch Minuten, um die richtige Kombination des Zahlenschlosses einzugeben. Dann stoße ich die festgefrorene Hüttentür mit letzter Kraft auf und lande in der Hüttenküche, in der ich mich wie in einer Zeitmaschine um 100 Jahre in die Vergangenheit zurückversetzt fühle.

Das "Section House" wurde 1880 für die Minenarbeiter gebaut. Nach zwischenzeitlicher Zerstörung durch einen Brand wurde es neu aufgebaut und steht seit einigen Jahren für Wanderer und Skifahrer als Unterkunft zur Verfügung.

Das „Section House“ wurde 1880 für die Minenarbeiter gebaut. Nach zwischenzeitlicher Zerstörung durch einen Brand wurde es neu aufgebaut und steht seit einigen Jahren für Wanderer und Skifahrer als Unterkunft zur Verfügung. Es gibt 12 Betten und man teilt sich die Hütte, sofern sich mehrere Gruppen eingebucht haben. In dieser Nacht haben wir die Hütte aber für uns.

Gerade als wir es alle zur Hütte geschafft haben, bricht die Dämmerung herein.

Wir haben es geschafft! Lohn aller Mühen: ein herrlicher Abendhimmel am friedlichsten Ort dieser Erde.

Am Ziel – Lohn aller Mühen: ein herrlicher Abendhimmel an einem der friedlichsten Orte dieser Erde.

Nach einigen Fotos im schönen Abendlicht beginnen wir sofort mit den „überlebensnotwendigen“ Arbeiten, die das Übernachten in einer Berghütte ohne fließendes Wasser und ohne Steckdosen erfordert: wir starten ein Feuer im Holzofen und sammeln Schnee, um diesen auf dem Herd zu schmelzen, als Trink- und Waschwasser. Wir kochen Tee und unser Abendessen – Spagetti Carbonara. Ich entledige mich meiner nassen Klamotten und wärme mich, vor allem meine durchgefrorenen Füße, am Feuer auf. So langsam wird es in der Hütte warm und uns wohlig ums Gemüt. Meine Kopfschmerzen jedoch nehmen während der Nacht noch an Intensität zu. Auch ist mir schwindelig und mein Puls und die Atmung deutlich beschleunigt. Das sind die typischen Anzeichen einer leichten bis mittelstarken Höhenkrankheit. Für Nicht-Akklimatisierte „Fischköppe“ wie mich nichts Ungewöhnliches. Lebensgefährlich würde es wahrscheinlich erst weitere 1.000 Meter höher, aber ganz wohl ist mir dennoch nicht. Die halbe Nacht quäle ich mich in der gut geheizten Schlafkammer, in der wir alle gemeinsam schlafen, bekomme schlecht Luft. Als ich schließlich in eine ungeheizte Schlafkammer wechsle, ist die Nase frei und ich schlafe endlich ein wenig – unterbrochen von vielen Wachphasen. Der Wind pfeift ums Haus und es rauscht und knarzt im Gebälk. Am Morgen stehe ich um halb 7 Uhr auf und gehe ins Freie, wo ich den Sonnenaufgang erlebe und die frische Luft meinen glühenden Kopf kühlt. Ich mache Feuer im Ofen und gehe wieder ins Bett, um noch eine Runde weiter zu schlafen.

Die "gute Stube" der Hütte, mit großen Schneeschmelztöpfen auf dem Ofen.

Die „gute Stube“ der Hütte, mit einem der großen Schneeschmelztöpfe auf dem Ofen.

Als ich später endgültig aufstehe, fühle ich mich besser, die frische Luft und ein wenig mehr Schlaf haben mir gut getan. Philipp macht ein herzhaftes, energiereiches Frühstück mit Avocadomuß, Knoblauchscheiben (!) und Rigaer Sprotten auf dunklem Brot (Rezept eines Fitness-Gurus;-). Die Sonne scheint herrlich und durchflutet die Landschaft. Mein Körper spürt neue Kraft und ich bin motiviert für den Abstieg. Wir machen „klar Schiff“ – diesen Ausdruck muss ich Kelly erst einmal erklären – und packen unsere Sachen.

Philipp und ich holen noch einmal Schnee in die Hütte für später anreisende Gäste.

Philipp und ich holen noch einmal Schnee in die Hütte für später anreisende Gäste.

Vor bereits wieder abgeschlossener Hütte machen wir noch ein paar Erinnerungsfotos.

Ein letztes Abschiedsbild an der Hütte.

Ein letztes Abschiedsbild an der Hütte.

Bei frischer Brise und strahlend blauem Himmel sagen wir schließlich der Hütte Adieu und bahnen uns den Weg durch erneut vom Wind verwehte Loipen den Berg hinab. Es ist keine sehr steile Abfahrt aber es geht doch wesentlich leichter voran als bergauf.

Dieser alte "Tank" markiert ungefähr die Mitte der Strecke, er diente früher zur Versorgung der Eisenbahn.

Dieser alte Wasser-„Tank“ markiert ungefähr die Mitte der Strecke, er diente früher zur Versorgung der Eisenbahn(er).

In fast der halben Zeit des Aufstiegs schaffen wir – die herrliche Aussicht noch mehr genießend – den Abstieg und erreichen glücklich den Parkplatz. Dann fahren wir nach Hause, holen auf dem Weg eine lecker nach unseren Wünschen belegte Pizza bei „Wholefoods„, einer Lebensmittelhandelskette für hochwertiges und gesundes Essen (ja, das gibt es in den USA!) und schauen ein paar weitere Episoden der „Trailer Park Boys“. Unser Thanksgiving-Truthahnessen holen wir dann am Wochenende nach.

Philipp bereitet den Turkey zu.

Philipp bereitet den Turkey zu.

Ich darf die Cranberry-Sauce zubereiten und das klappt auch ganz gut. Gemeinsam genießen wir dann am Sonntag unser Festessen. Montags müssen die beiden wieder arbeiten. Ich widme mich wieder meinen „Hobbies“…und besuche unter anderem auch das „Wings Over the Rockies Air & Space Museum“ von Denver.

Schon verrückt, hier wurde sogar ein ganzes Flugzeug mit Weihnachtsleuchten dekoriert!

Schon verrückt, hier wurde sogar ein ganzes Flugzeug mit Weihnachtsleuchten dekoriert!

An einem der Abende nimmt Philipp mich mit in die Stadt, ohne mir zu sagen, was wir machen. Wir gehen ins Kongresszentrum, wo eine Show stattfinden soll. Erst als ich schon im Sessel sitze, begreife ich, um was es sich handelt: die „Trailer Park Boys“ sind in der Stadt! Durch meine solide Einführung in die Serie zuvor kann ich den Humor gut nachvollziehen – auch wenn es schon etwas befremdlich ist, dass der halbe Saal in aller Öffentlichkeit Gras/Haschisch raucht – in Colorado ist der Konsum von Canabis legal! Das finden auch die Trailor Park Boys ziemlich cool…

In den nächsten Tagen überlegen Kelly und ich, was wir für Philipps Geburtstag machen wollen, der diese Woche ansteht. Am Tag davor entscheiden wir uns spontan zu einer „Surprise“-Party. Eilig laden wir einige Freunde ein, uns abends im Restaurant zu treffen. Trotz weniger Rückmeldungen kommen am Ende doch 15 Gäste und die Party ist ein Erfolg.

Ein sichtlich gut gelauntes und hungriges Geburtstagskind!

Links: Ein sichtlich gut gelauntes (und hungriges) Geburtstagskind!

Am letzten Tag vor meinem Rückflug weckt Philipp mich früh – ich soll mit ihm zur Arbeit fahren: auf dem Rad – 19 Kilometer pro Strecke. Na prima…nach kurzem Ringkampf gebe ich mich aber geschlagen und wir machen uns auf den nicht unbeschwerlichen Weg.

Auf dem Weg zu seinem Büro kommen wir am Cherry Creek Reservoir vorbei, an dem walflossenähnliche Rastplätze stehen.

Auf dem Weg zum Büro kommen wir am „Cherry Creek Reservoir“ vorbei, an dem walflossenähnliche Picknickplätze stehen.

Im Büro angekommen bin ich recht erschöpft, es ging zuletzt doch recht steil hinauf. Zurück – bergab – schaffe ich es dann mit weniger Anstrengung und in der halben Zeit. Den Rest des Tages kann ich entspannen, bis Kelly heimkommt und wir beide den monatlichen Galerieabend in der Stadt besuchen. Philipp ist bei der Weihnachtsfeier seiner Firma und kommt später nach.

Der Abend endet feucht-fröhlich in einer mexikanischen Bar, wo wir einige Leute aus Denver kennenlernen.

Der Abend endet feucht-fröhlich in einer mexikanischen Bar, wo wir einige Leute aus Denver kennenlernen. PS: Die beiden Mädels in der Mitte und rechts sind miteinander (!) verheiratet, also bitte keine falschen Annahmen;-)

Am darauf folgenden Samstagmorgen können wir alle ausschlafen. Gegen Mittag bringen Kelly und Philipp mich dann wieder zum Flughafen. Eine turbulenter Denveraufenthalt geht zuende. Ich fliege zurück nach Minneapolis.

Hinterlasse einen Kommentar